Göttingen Zero widerlegt die Kostenschätzung der Stadt Göttingen zum bevorstehenden Radentscheid
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Erik Röhling und Lasse Dreyer |
Datum: | |
Dauer: | 05:37 Minuten bisher gehört: 333 |
Manuskript
O-Ton 1, Francisco Welter-Schultes, 35 Sekunden
„Wir müssen einen Kompromiss schließen an dieser Stelle, zwischen einem sicheren Fahrradverkehr für viele viele Menschen, die zwischen Geismar und dem Klinikum hin- und herfahren wollen und die nur auf diese Weise eine sichere Radfahrverbindung bekommen können. Es geht nicht anders. Man kann die Häuser nicht abreißen und einen dritten Fahrradweg bauen, man kann keine Großbrücken bauen wie in Kopenhagen oder so etwas. Wir haben in Göttingen beschränkte Möglichkeiten. Wir müssen mit den vorhandenen Finanzmitteln auskommen. Und so eine „protected bike lane“ wie wir sie vorhin gezeigt haben, ist an diesen beiden Straßen für etwa eine Million Euro zu haben in der Summe.“
Text
Francisco Welter-Schultes hat eine klare Meinung zu dem Thema Radentscheid. Das Mitglied der Organisation Göttingen ZERO ist eine treibende Kraft in der aktuellen Debatte des Radentscheids in Göttingen. Mit der erfolgreichen Sammlung von rund 8.500 Unterschriften von Göttingern hat sich die Organisation das Recht auf einen Bürgerentscheid erarbeitet, was nun alle wahlberechtigten Göttinger zu einer Wahl miteinbezieht. Das Bürgerbegehren für den Radentscheid ist in Niedersachsen die erste Möglichkeit für die Bevölkerung, direkten Einfluss auf die Verkehrsgestaltung zu nehmen. Mit der anstehenden Europawahl im Juni wird auch über die Bürgerbegehren abgestimmt. In den zwei Bürgerbegehren wurden die Ziele des Radentscheids ausformuliert. Jonas Luckhardt von Göttingen ZERO erklärt, wie sich die Begehren unterscheiden.
O-Ton 2, Jonas Luckhardt, 17 Sekunden
„Wir haben ja zwei Bürgerbegehren. Das Grüne mit allgemeinen Forderungen und das Zweite in blau nochmal mit konkreteren Maßnahmen. Die ergänzen sich wunderbar, und letztendlich ist das Blaue dafür da, dass das, was im Grünen drin steht, auch tatsächlich umgesetzt wird.“
Text
Fehlende Initiative seitens der Stadtverwaltung habe den Ausbau der Fahrradinfrastruktur zum Erliegen gebracht. Mit den konkreten Forderungen soll Schwung im Prozess entstehen und die Forderungen von Göttingen ZERO erfüllt werden. Doch was steht nun genau im Begehren und was soll das Ganze kosten? Der Radentscheid sieht eine „Umwidmung“ der Straßenverkehrsordnung vor. Fokus liegt hier vor allem bei der Trennung des sogenannten Mischverkehrs, also von verschiedenen Fortbewegungsmitteln. Geschehen soll dies mit dem Ausbau von Fahrradstraßen und sogenannten „protected bike lanes“. Dieser Ausbau ist außerhalb der Innenstadt geplant und soll bessere Verbindung zwischen den Göttinger Stadtteilen herstellen. „Protected bike lanes“ sind von der Straße getrennte Fahrradwege, die durch gesonderte Markierungen und Schutzstreifen den Fahrrad- und Autoverkehr voneinander trennen. Der Ausbau birgt einige Vorteile: So wird durch eine verbesserte Fahrradinfrastruktur ein erhöhter Fahrradverkehr erwartet; zur Folge hat dies ein geringeres PKW-Aufkommen um Göttingen. Das bedeutet, so Göttingen ZERO, sauberere Luft im Stadtbereich, vermehrt nachhaltige Fortbewegung, höherer Komfort durch weniger Lärmbelästigung von Motoren für Anwohnende und ein besseres Sicherheitsempfinden im Verkehr für Radfahrende. Auf der anderen Seite fallen durch den Umbau von Straßen auch Parkplätze in bestimmten Bereichen weg und der Buslinienplan der Stadt muss angepasst werden. Die Kostenfrage hat bereits für Unstimmigkeiten zwischen Göttingen Zero und der Stadt gesorgt. Im Vorfeld des anstehenden Entscheids bezifferte die Stadt die Kosten auf um die 100 Millionen Euro. Göttingen ZERO weist die Kostenangaben wie folgt zurück.
O-Ton 3, Francisco Welter-Schultes und Jonas Luckhardt, 42 Sekunden
„Die Stadt spricht ja von 100 Millionen Euro. 100 Millionen rechnet sich so zusammen, dass man die 39,4 vom ersten Begehren und die 56,4 vom zweiten Begehren einfach übereinander stellt, wie so aufgestapelt und da haben wir erstmals gesehen, im ersten und im zweiten Begehren haben wir Rechenfehler drin. Die kann ich gleich beschreiben, das macht im ersten Begehren relativ wenig aus, das sind zwei Millionen Euro um die sich die Stadt hier verrechnet hat. Aber in diesem zweiten Begehren, sind es tatsächlich 16 Millionen. Das ist ein richtiger Batzen von diesen 56, wo sich die Stadt einfach nur mathematisch verrechnet hat. Luckhardt: „Es kommt im Grunde wie das nochmal dargestellt ist tatsächlich daher, dass einfach Inflation und Planungskosten für die Bürgerstraße doppelt berechnet wurden.“
Text
Göttingen ZERO ist der Kostenberechnung der Stadt genauer nachgegangen und kommt zu einem anderen Ergebnis. Grund dafür sind die nicht einberechneten Fördermittel des Bundes, die bis zu 70 Prozent der Maßnahmen, im Falle einer Zustimmung, decken könnten. Ebenfalls nicht in der Aufstellung berücksichtigt sind beispielsweise die Kosten, die für die Instandhaltung von Fahrradverkehrsstraßen aufgebracht werden müssen sowie die potenziellen Einsparungen, die durch eine vermehrte Nutzung von Fahrrädern auf diesen entstehen können. In diesem Fall sei die Belastung der Fahrbahn geringer und Deckensanierungen auf Fahrradstraßen sind seltener erforderlich als an regulären Verkehrsstraßen. Die Erhöhung der Lebensqualität, besserer Klimaschutz und weniger Verschleiß würden also künftige Einsparungen gesellschaftlicher Kosten mit sich bringen. Wichtig sei es nun, so Welter-Schultes, im Ausbau der Fahrradinfrastruktur nachzuholen.
O-Ton 4, Francisco Welter-Schultes, 25 Sekunden
„Also wir müssen einen Kompromiss schließen zwischen einem qualitativ hochwertigen, fließenden Radverkehr auf einer Fahrradstraße und dem Bedürfnis der Autos zu parken. Parkverkehr ist ruhender Verkehr, das nennt sich in der Verwaltungssprache ‚ruhender Verkehr‘. Und es gibt einen ganz oberen Grundsatz in der Verkehrspolitik Deutschlands. Wo drin steht, also es gibt so eine Richtlinie von ganz oben, da steht drin ‚Grundsätzlich hat der fahrende Verkehr Vorrang vor dem ruhenden Verkehr.‘“
Text
Die Anlaufphase für eine verbesserte Fahrradverkehrsstruktur könne zwar noch ein paar Jahre dauern, jedoch sei die Stadt Göttingen prädestiniert dafür, mehr auf das Fahrrad zurückzugreifen. Das könne die Stadtverwaltung mit kreativen Lösungsansätzen bewerkstelligen, so Göttingen ZERO. Die Initiative fordert, dass die Kosten noch vor der Abstimmung am 9. Juni neu berechnet werden sollen. Es bleibt also nicht mehr viel Zeit für die Wahlberechtigten, ihr Kreuz für die Bürgerentscheide zu setzen. Was schlussendlich das Ergebnis dieser Initiative ist, bleibt abzuwarten.
Zur Verfügung gestellt vom StadtRadio Göttingen
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