Retraditionalisierung der Frauen durch Kinderbetreuung und Home-Office
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Lucie Mohme |
Datum: | |
Dauer: | 04:36 Minuten bisher gehört: 157 |
Manuskript
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Der zweite Lockdown veranlasst viele Beschäftigte im Home-Office zu arbeiten. Aber nicht nur Eltern bleiben zuhause, sondern auch Schülerinnen und Schüler sind auf das Home-Schooling angewiesen. Schulen, aber auch Kitas sollen voraussichtlich bis zum 14. Februar geschlossen bleiben. Jedes dritte Kita-Kind befindet sich in Notbetreuung, obwohl die Bundesregierung an die Eltern appelliert, die Kinder besser zuhause zu betreuen. Dass Eltern ihre Kinder im Home-Office größtenteils aber kaum angemessen betreuen können, ist eine Problematik, die schon im letzten Lockdown präsent war. Dieser Aspekt bringt außerdem die Gleichstellung zwischen Mann und Frau ins Schwanken: Auch die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Göttingen, Christine Müller, sieht die Gefahr einer Retraditionalisierung der Frauenrolle durch das Home-Office:
O-Ton 1, Christine Müller, 32 Sekunden
„Frauen, Mütter sind schon immer, also auch ohne Corona, zuständiger für die Sorgearbeit. Die sind mehr zuständig und verantwortlich für Kinderbetreuung. Genauso geht es bei pflegebedürftigen Angehörigen und, und, und. Es wird ja immer so schön gesagt: Corona ist ein Brennglas, was die Ungleichheiten in unserer Gesellschaft jetzt besonders deutlich zeigt und das erleben wir gerade in Sachen Home-Office, Corona und die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit zwischen Männer und Frauen mit den Folgen, die wir schon vorher kannten.“
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Dadurch, dass Frauen die Sorgearbeit für die Kinder im Home-Office übernehmen und Männer schneller wieder zurück in den normalen Berufsalltag gehen, geschieht eine Rückentwicklung des gleichgestellten Frauenbilds. Über die Hälfte der knapp 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung Göttingen sind Frauen. Knapp 60 Prozent der arbeitenden Frauen in der Göttinger Stadtverwaltung sind in Teilzeit, was mehrheitlich aus Sorgegründen um Kinder der Fall ist. Die teilzeitarbeitenden Frauen sind meist die, die zuerst ins Home-Office gehen, sofern die Tätigkeit es zulässt. Eine betriebliche Kinderbetreuung wird hier aber nicht gestellt. Müller analysiert die Problematik:
O-Ton 2, Christine Müller, 34 Sekunden
„Und wir schaffen es halt nicht und das hat die Pandemie nochmal deutlich gezeigt. Wenn wir sagen Systemrelevanz erfordert eine Kindernotbetreuung, dann machen wir das in Bereichen da geht es um Pflege. Das ist natürlich ganz wichtig, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber es geht zum Beispiel nicht darum, wenn ich mir Feuerwehr angucke, wenn ich mir die Stadtreinigung angucke. Dann haben wir ganz viele männerdominierte Bereiche, die auch systemrelevant sind. Da wird nicht ohne Weiteres eine betriebliche Notbetreuung zur Verfügung gestellt, nee, da wird auch davon ausgegangen, die haben zwar Kinder, aber die werden schon irgendwie Frauen haben, die sich dann drum kümmern können.“
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Dadurch, dass Frauen beim Home-Office oft den Kürzeren ziehen, verringern sich die späteren Berufschancen beträchtlich. Mit der vermehrten Teilzeitarbeit ist meist auch nicht genügend für die Altersvorsorge ausgesorgt. Ein Lösungsvorschlag für die ungleichen Arbeitsstunden von Mann und Frau wäre zum Beispiel die 32-Stunden Woche für alle. Auf diese Weise hätten beide Elternteile einen vollzeitnahen Verdienst und eine verhältnismäßig gute Absicherung im Alter. Auch die Aufteilung der Sorgearbeit könnte so gleichmäßiger auf beide Elternteile aufgeteilt werden. Müller versucht die Theorie der 32-Stunden Woche realistisch zu sehen:
O-Ton 3, Christine Müller, 33 Sekunden
„Ich weiß aber nicht wie realistisch das Ganze ist, weil im Moment sieht es ja nicht so aus würde die Pandemie als Krise genutzt, die es hilft das Geschlechterverhältnis vielleicht eher ein bisschen gleichberechtigter aufzustellen, sondern meine Befürchtung ist, dass die traditionellen Rollen eher verstärkt werden, weil es wird ja gerade auch suggeriert, daher auch die Einstiegsfrage, dass Home-Office und Kinderbetreuung ohne weiteres möglich ist, was ja einfach auch nicht stimmt. Man müsste eher gucken, wie krieg ich Männer stärker jetzt dazu die Sorgearbeit zu übernehmen und zu sagen ihr nutzt mal diese Zeit, um Sorgearbeit zu machen und die Frauen eher in der Erwerbstätigkeit.“
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Wenn die Sache optimistisch betrachtet wird, ist eine positive Entwicklung in den zukünftigen Generationen abzusehen. Nach dem 4. Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Niedersachsen bringen sich zumindest junge Väter mehr in die Familie ein. Beim Elterngeld ist die finanzielle Beteiligung der Väter von dem Jahre 2010 zu 2020 um 19, 9 Prozent und somit auf 38,4 Prozent gestiegen. Dennoch ist die Belastung momentan noch zu ungleich verteilt, als das hier von nennenswerten Entwicklungen gesprochen werden kann. Nach der Niedersächsischen Sozialministerin Carola Reimann bietet trotz allem auch das Home-Office eine Chance, um die gerechte Aufteilung der Sorgearbeit zu verbessern.
Zur Verfügung gestellt vom StadtRadio Göttingen
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