Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Roman Kupisch
Datum:
Dauer: 05:17 Minuten bisher gehört: 386
Die Menschen seien demokratiemüde. Dieser Befund ist oft zu hören, wenn es um die Unzufriedenheit der Wähler geht. Doch was tun Menschen, um ihre Politiküberdrüssigkeit zu bekämpfen? Zum Beispiel wählen manche, die früher gar nicht wählten, plötzlich rechtsradikal. Das liegt aber nicht allein an einem plötzlichen Sinneswandel. Dahinter steckt vielmehr ein komplexes Verhältnis aus Angebot und Nachfrage. Dieses Verhältnis hat sich das Göttinger Institut für Demokratieforschung genauer angeschaut. Roman Kupisch berichtet.
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Manuskript

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In der Bundesrepublik ließ sich der Erfolg rechter Parteien bisher recht ziemlich voraussagen. Die Faustregel dazu lautete: Wenn rechte Parteien sich radikalisieren, verlieren sie an Bedeutung. Die Gültigkeit dieser Regel steht derzeit aber arg in Zweifel. Denn schon länger ist die Rede von einem anhaltenden Rechtsruck in Deutschland. Begleitet wird er von der bangen Frage: Wie rechts wird es denn noch werden? Dem ist auch das Göttinger Zentrum für Demokratieforschung nachgegangen. Es hat dazu die Studie „Traditionslinien des Rechtsradikalismus in der politischen Kultur Niedersachsens“ erstellt. Der auffälligste Befund darin lautet: Nach 1945 war Niedersachsen das Stammland des Nachkriegs-Rechtsradikalismus – davon ist heute nur noch wenig zu beobachten. Das mindert aber nicht die Sorge vor dem Potential rechtsradikaler Politikangebote. Dieses Potential präzise zu bestimmen, ist kein leichtes Unterfangen. Dennoch gibt es Anhaltspunkte wie Florian Finkbeiner, Mitautor der Studie, berichtet.

 

O-Ton 1, Florian Finkbeiner, 33 Sekunden

Es wird heute nicht mehr oft verwendet, es gab mal Rechtsextremismusforscher in den 60ern, die Rechtsradikalismus als normale Pathologie bezeichnet hatten. Also die Vorstellung, dass es irgendwie einen gewissen Bodensatz von acht bis zehn Prozent der Gesellschaft gibt, die so denken. Das gehört irgendwie dazu, dass das Glück von demokratischen Gesellschaften darin besteht, dass es politische Angebote, politischen Streit und Konflikte und Aushandlungen gibt, die es aber verhindern, dass aus diesen Mentalitäten [ein] parteipolitisches Ziel wird.“

 

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Es gibt jedoch Zeiten, da liegt die Zustimmung schnell bei über acht bis zehn Prozent. Aus diesem Grunde möchte die Studie verstärkt die Dynamik des Rechtsradikalismus erforschen. Dafür stützt sie sich auf den Begriff der Politischen Kultur. Mit diesem Begriff werden politische Phänomene von zwei Seiten aus betrachtet. Grob gesagt von einer impliziten und einer expliziten. Zum einen wird darauf geblickt, welche politischen Vorstellungen, Sehnsüchte und Deutungsmuster in der Bevölkerung vorhanden sind. Zum anderen geht es darum, welche Angebote politische Akteure machen, um diesen zu begegnen. Das heißt nun aber nicht, dass Parteien nur die Erwartungen ihrer potentiellen Wähler umsetzen.

 

O-Ton 2, Florian Finkbeiner, 31 Sekunden

Ob eine gewisse Einstellung oder eine gewisse Mentalität, die Menschen irgendwie haben, ob die dann gleich schon irgendwie parteipolitisch eingebunden werden kann oder nicht hängt für uns, wie wir den Begriff politische Kulturforschung verstehen, von dem Angebot ab, was eine Partei, oder eine Gruppierung eine Organisation oder irgendein Aktivist macht. Also wenn Sie jetzt ans Emsland denken: Würden jetzt viele Leute natürlich sagen, da sind ganz ganz viele konservativ und haben eventuell auch autoritäre Einstellungen, aber natürlich – und das ist dann die Krux an der Sache – haben da rechte Parteien interessanterweise immer relativ wenige Chancen gehabt.“

 

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Wie verhält es sich nun also mit den titelgebenden Traditionslinien des Rechtsradikalismus in Niedersachsen? Hier konstatiert die Studie vor allem Brüche statt Kontinuität. Zum Stammland des Rechtsradikalismus wurde Niedersachsen nach 1945 aufgrund von fünf Faktoren. Diese waren: eine schwächelnde Wirtschaft; die dominierende Stellung der Landwirtschaft als Erwerbsform; die hohe Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen; die lange Grenze zur DDR und die daraus erwachsende Angst vor dem Kommunismus; und nicht zuletzt die Tatsache, dass es Niedersachsen vor 1945 überhaupt nicht gab. Anstelle der fehlenden Landestradition setzte Mancher daher die Überbetonung von Heimat und Herkunft. Doch diese Faktoren existieren heute entweder nicht mehr oder sind kaum noch von Bedeutung. Ein Faktor bleibt jedoch unverändert – obwohl er nicht unbedingt landesspezifisch ist: Die Studie konnte zeigen, dass Rechtsradikalismus besonders in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche Konjunktur hat.

 

O-Ton 3 Florian Finkbeiner, 31 Sekubnden

Das ist die große Gemeinsamkeit von der Zeit nach ´45, den 60ern den 80ern und heute. Jedes Mal hat man eine kulturelle Verunsicherung, meistens weil so was wie linksliberale Bewegungen Emanzipation voranbringen, was dann auf einer Mentalitätsebene sehr wahrscheinlich für konservativ eingestellte überfordernd oder herausfordernd wirkt. Man hat in allen Zeiten auch bei der NPD und bei den Republikanern immer eine Krise von Volksparteien – und mit der Krise der Volkspartei zählt da parteipolitisch vor allem dazu, dass man da keine parlamentarische Opposition hatte.“

 

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Von der Krise der Volksparteien profitiert derzeit vor allem die AfD. Das allein mache die Partei oder ihre Wähler noch lange nicht rechtsradikal. Die Studie hält sich an dieser Stelle mit einer Einschätzung zurück. Gleichwohl sei bei Partei und Wählerschaft rechtsradikales Potential vorhanden – und das in ganz erheblichem Maße. Welche Dynamik dieses Potential entfaltet, das hinge von der weiteren Entwicklung der AfD ab. Sorge macht den Autoren der Studie aber gar nicht das, was sie herausfanden. Sorge macht ihnen vor allem ein Forschungsdefizit. Seit 1990 gäbe es keine systematische Forschung mehr zu rechtsradikalen Entwicklungslinien. Das Thema habe in der Wissenschaft einfach keinen mehr interessiert.