Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Lilly Krka
Datum:
Dauer: 06:54 Minuten bisher gehört: 330
Die Uni Göttingen gibt menschliche Überreste jetzt dem Inselstaat Palau zurück. Die menschlichen Überreste wurden in der Kolonialzeit nach Deutschland gebracht wurden und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei Rassenschauen ausgestellt. Um eine Übergabe zu vereinbaren, kamen mehrere Vertreter*innen der Universität, darunter der Präsident der Universität Metin Tolan und eine Delegation aus Palau zusammen. Was genau dort passiert ist, berichtet Lilly Krka.
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Der Kulturminister aus Palau, Ngiraibelas Tmetuchl, und Uni-Präsident. Prof. Dr. Metin Tolan unterzeichnen die Rückgabe-Vereinbarung. Auf dem Bild zu sehen sind weiterhin Ribka Kintaro, Vertreterin des Councils der Insel Pulo Anna, McMichael Mutok, Registrar für Denkmalpflege und Fellow im Projekt „Sensitive Provenances“
(Bild: Lilly Krka)

Manuskript

Text:

„Wie würdest du es finden, wenn deine Großeltern irgendwo in einem Depot liegen würden?“ Das entgegnet Léontine Meijer-van Mensch – Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlung Sachsen - häufig Kritiker*innen, die sich der Rückgabe von Gebeinen aus Museen an ihre Heimatländer entgegenstellen. Während der Kolonialzeit wurden immer wieder Artefakte und menschliche Knochen aus Kolonien nach Deutschland gebracht. Ob sie gestohlen oder gekauft wurden, ist dabei meist unklar. Auch die Universität Göttingen verfügt in ihren ethnologischen Sammlungen über solche Gebeine. Darunter auch die Knochen von sieben verschiedenen Menschen aus Palau, die Anfang der 20. Jahrhunderts auf einer Südsee-Expedition von dem Ethnologen Paul Hambruch nach Hamburg gebracht wurden. Später gelangten sie in den Besitz der Universität Göttingen und befanden sich bis jetzt in den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen. Im Rahmen des „Sensitive Provenances“ Projekts der Universität Göttingen wurden diese menschlichen Überreste jetzt an Palau zurückgegeben. In einer Zeremonie in der alten Aula in Göttingen wurde am Montag Nachmittag nicht nur die Übergabe vertraglich abgeschlossen; es wurden auch Entschuldigungen ausgesprochen.

Das Projekt „Sensitive Provenances“ hat drei Jahre lang versucht, verschiedene menschliche Überreste aus der anthropologischen Sammlung und der Blumenbach’schen Schädelsammlung der Universität zu untersuchen und ihre koloniale Herkunft zu bestimmen. Als das gelang, wurden die Gespräche mit den Heimatländern aufgenommen. Wie dieser Prozess genau ablief, erzählt Dr. Holger Stoecker:

O-Ton 1, Dr. Holger Stoecker (48 Sek.)

„Aus Palau hatten wir dann einen Fellow hier in Göttingen. Wir hatten das Glück in dem Projekt sechs Fellows einzuladen aus Tansania, Kamerun und aus Palau eben. Die haben auf unterschiedliche Weise sich mit den Beständen aus ihren Herkunftsländern beschäftigt, haben sich vor allem auch untereinander ausgetauscht über Erfahrung was Repatriierung angeht, was die Kommunikation mit den eigentlichen Herkunftsgemeinschaften im engeren Sinne angeht. Und auf diese Weise kam es dann auch dazu, dass das Wissen über die Bestände hier in Göttingen nach Palau kommuniziert wurde durch den Fellow selber und es gab dann eine Rückgabebitte, der dann auch gleicht entsprochen worden ist und das wird heute sozusagen vollzogen.“

 

Text:

Aus Palau selbst waren auch einige Vertreter*innen anwesend: Der Kulturminister Ngiraibelas Tmetuchl, McMichael Mutok, Registrar für Denkmalpflege und Fellow im Projekt „Sensitive Provenances“ und Ribka Kintaro, Vertreterin des Councils der Insel Pulo Anna. Vor der Zeremonie am Montag sei die Delegation aus Palau nervös, erzählt McMichael Mutok. Es ist die erste solcher Rückgaben für seine Nation. Am wichtigsten für sie ist die Planung nach der Rückführung der menschlichen Überreste. Was nach ihrer Rückreise nach Palau für sie vorgesehen ist, erzählt Mutok:

 

O-Ton 2, McMichael Mutok (41 Sek.)

„Nach der Zeremonie müssen wir noch den nächsten Schritt planen. Nämlich: Was passiert, wenn wir [die Knochen] wieder zurück nach Palau bringen? Es ist sehr schwierig zu identifizieren, woher genau – aus welchen Dörfern - die menschlichen Überreste stammen. Wir planen ein Denkmal zu errichten. Wir haben eine Stelle für die Überreste ausgesucht: alle Knochen, die aus Europa und aus Deutschland zurückgegeben werden, sollen dort zentral begraben werden, um an sie erinnern zu können. Dass sie in der Kolonialzeit weggenommen werden und jetzt wieder zurückkehren.“

 

Text:

Die Nation Palau besteht wie Deutschland aus 16 Bundesländern. Anders als hier jedoch nehmen diese Länder und auf noch kleinerer Ebene Dörfer und Clans eine viel größere Bedeutung für Identität und Zugehörigkeit ein – jede dieser Gemeinschaften hat eigene Grabstätten. Die menschlichen Überreste müssen nicht einfach nach Palau zurück, eigentlich müssten sie in ihr Dorf und zu ihrer ursprünglichen Grabstätte zurück. Doch mit DNA-Tests lässt sich die Abstammung nicht so genau bestimmen. Lediglich die Heimatinseln konnten bestimmt werden: Einige der Knochen stammen von den Ulong-Inseln, einige von der Babaldaob-Insel und eines der Skelette wurde aus Pulo Anna entwendet. Einzig Pulo Anna ist klein genug, um die Überreste tatsächlich einer Gemeinschaft und ihrer Grabstätte zuordnen zu können. Den anderen Knochen soll deshalb zentral ein Denkmal geschaffen werden, um sie dort beerdigen zu können. Für Palau ist der Prozess jedoch nicht unbedingt emotional, erklärt Mutok: Es gebe eher andere Gründe für die Rücknahme der Gebeine:

 

O-Ton 1, McMichael Mutok (35 Sek.)

„Ich weiß, es ist anders für andere Länder, die schon Erfahrungen mit Rückführungen haben, aber Palau hat einen anderen Zugang. Die Rückführung der Überreste ist für uns nicht wirklich emotional. Es ist wichtig für uns, weil es den Zugang zu anderen Projekten und mehr Forschung an den Gebeinen eröffnen kann. Außerdem möchten wir unseren Nachbarländern die Möglichkeit und die Informationen weitergeben, dass auch sie ihre Ahnen zurückholen können, falls sie daran interessiert sind.“

 

Text:

Léontine Meijer-van Mensch ist als Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen auch vor Ort und bereits mit dem Thema Rückführungen vertraut. Seit den 1950er Jahren werden die menschlichen Überreste aus Palau nicht mehr ausgestellt, davor waren sie lange Teil von Rassenausstellungen, erzählt die Direktorin. Tausende Menschen liegen derzeit noch in den Depots. Besonders wichtig ist Meijer-van Mensch die Rehumanisierung der Skelette. Durch die Entwendung und Ausstellungen seien diese Überreste von Menschen zu Objekten gemacht worden. Jetzt sei es eine wichtige Aufgabe, diese Objekte wieder als Menschen zu sehen. Entgegen häufiger Kritik möchte Meijer-van Mensch den Umgang ethnologischer Museen mit ihren Sammlungen von Grund auf ändern. Viele gestohlene Objekte und menschliche Überreste müssen zurückgeführt werden. Solche Rückgaben seien in keinem Fall ein Verlustgeschäft. Die Ausstellungen werden auch ohne sie nie leer sein – viel mehr würde man durch die Rückgaben auch dazugewinnen: neue Geschichten und Beziehungen mit den Herkunftsländern. Auch McMichael Mutok wünscht sich eine weitere internationale Zusammenarbeit. Während Palau noch ganz am Anfang stehe, könne es sich an den Vorgehensweisen anderer Staaten wie Neuseeland oder Hawaii orientieren. In Zukunft wollen sie weitere Forschungen zu den Hintergründen der entwendeten Überreste anstellen.