Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Lilly Krka
Datum:
Dauer: 05:37 Minuten bisher gehört: 303
Seit langem verliert die christliche Kirche in ganz Deutschland an Mitgliedern. Auch in Südniedersachsen ist das nicht anders. Kürzlich wurde bekannt, dass die Austritte aus der evangelischen und der katholischen Kirche im letzten Jahr einen Höchststand erreicht haben. Was diese Entwicklungen für die Kirchen bedeuten, hat Lilly Krka herausgefunden.

Manuskript

Jahrhundertelang bildeten die Kirchen einen Grundstein für das soziale Leben in Deutschland – besonders in ländlichen Regionen. Doch seit Jahren wenden sich immer mehr Menschen von der Institution der Kirche ab. Die Zahlen der evangelischen Kirche im Kirchenkreis Göttingen zeichnen eine deutliche Entwicklung ab. Der Kirchenkreis reicht von Hannoversch Münden bis Radolfshausen und von Rosdorf bis Nörten-Hardenberg. In diesem Gebiet leben ca. 175.000 Menschen. Von ihnen sind momentan immer noch fast die Hälfte Mitglieder der evangelischen Kirche. Dennoch zeigen die Austrittszahlen einen starken Trend an: im letzten Jahr waren es 1.500 Menschen im Kirchenkreis Göttingen, die sich bewusst gegen eine Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche entschieden haben. Der katholischen Kirche geht es da nicht besser, berichtet Volker Bauerfeld, der Pressesprecher des Bistums Hildesheim:

 

O-Ton 1, Volker Bauerfeld, 11 Sekunden

Wir werden weniger, die Zahlen lügen nicht, das ist ganz klar. Die Anzahl der Beerdigungen und Austritte ist angestiegen und die Anzahl der Taufen und Wiedereintritte fällt dem gegenüber deutlich zurück.“

 

Text

Die evangelische und die katholische Kirche leiden also an derselben Entwicklung, doch verorten sie die Gründe dafür teilweise an anderer Stelle. Dass heutzutage weniger Menschen an Gott glauben, denkt Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Frank Uhlhorn nicht. Er sieht den Revisionsbedarf woanders. Es habe keine Distanzierung vom Glauben stattgefunden, sondern eher von der Kirche als Institution. Es sei den Menschen oft nicht klar, was die Kirche tut. Vor allem die Kirchensteuern seien dann für viele ein Grund, auszutreten. Volker Bauerfeld sieht bei der katholischen Kirche zwei andere Probleme:

 

O-Ton 2, Volker Bauerfeld, 23 Sekunden

Wir haben eine zunehmende Verfremdung vieler Menschen von den Traditionen unseres Glaubens. Ein zweiter Punkt sind ganz sicherlich auch die Fälle von sexueller Gewalt in der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten, die im Bistum Hildesheim aufgearbeitet werden durch externe Studien. Aber das verhindert natürlich nicht, dass wir auch davon ausgehen müssen, dass Menschen austreten, weil sie enttäuscht sind.“

 

Text

Doch wenn Menschen aus wirtschaftlichen Gründen austreten und damit weniger Kirchensteuern eingenommen werden, fehlt das Geld bei den Kirchen. Viele Institutionen wie die Caritas, Kindergärten und Krankenhäuser befinden sich in kirchlicher Trägerschaft - schon immer bilden die Kirchen im sozialen Bereich eine bedeutsame Ergänzung zum Staat. Diese werden zwar nur zum Teil aus den Geldern der Steuerabgaben finanziert, trotzdem wird mit einer Verschlankung dieser Dienste zu rechnen sein müssen, wenn finanzielle Mittel knapper werden. Neben der Reduzierung des Gebäudebestands und der Pfarrer*innen, könnte es auch bei den sozialen Institutionen in kirchlicher Trägerschaft finanzielle Einschnitte geben, meint Frank Uhlhorn:

 

O-Ton 3, Frank Uhlhorn, 28 Sekunden

Wir müssen im Personal zurückfahren. Kirche hat als größte Ausgabenstruktur eben die Menschen, die bei ihr beschäftigt sind, und das ist sehr schmerzlich. Wir haben ein Haushaltsvolumen von 30 Millionen Euro immerhin. Da gehen zwei Drittel für karitative – für diakonische – Aufgaben raus: also Suchtberatung, Kindergärten natürlich, Altenpflegeheimeinrichtungen. All diese Dinge müssen wir gucken, wie wir sie noch finanzieren können. Das ist schon sehr hart und schmerzlich für uns, da Einschnitte zu machen.“

 

Text

Um diesen Entwicklungen entgegen zu wirken, möchte die katholische Kirche neue Ansätze testen. Denn gläubige Menschen im Bistum Hildesheim sollen keineswegs alleine gelassen werden, die christliche Gemeinschaft sollte immer allen offenstehen, findet Volker Bauerfeld:

 

O-Ton 4, Volker Bauerfeld, 26 Sekunden

Deswegen werden wir weiterhin neue Wege und Formen des Christseins ausprobieren – auch andere Formen des Gottesdienstes, neue Zugänge zu alten Traditionen möglich machen. Neue Orte, wo kirchliches Leben wachsen kann, entstehen dort, wo es engagierte Gläubige gibt. Und all diese positiven Einflüsse, die es im Bistum Hildesheim gibt und diejenigen, die dafür verantwortlich sind, die Macher und Macherinnen sozusagen, die möchten wir mit aller Kraft fördern.“

 

Text

Dem stimmt auch Superintendent Frank Uhlhorn zu. In Göttingen sei es besonders wichtig, moderner zu werden, um auch die jüngere Generation anzusprechen. Schon in den vergangenen Jahren habe die evangelische Kirche in Göttingen verschiedene Ideen ausprobiert, um christliche Feste und Gottesdienste ansprechender zu gestalten:

 

O-Ton 5, Frank Uhlhorn, 34 Sekunden

Ich glaube, wir sind als Kirche moderner manchmal geworden, als es viele Leute mitbekommen haben: Zum Beispiel, wenn wir Tauffeste am Bach machen, oder wenn wir Gottesdienste mit Theaterstücken machen, oder Filmvorführungen, und wenn wir versuchen, auf die gesellschaftlichen Themen einzugehen. Und das wünsche ich mir noch mehr, dass wir da noch mehr die Mauern sozusagen etwas niedriger machen, dass wir die Angebote so auch von uns aus konzipieren, dass die Menschen das attraktiver finden, was wir ihnen zu sagen haben. Denn ich glaube, dass die Kirche doch durchaus [et]was zu sagen hat in dieser modernen Gesellschaft, dass es auch wichtig ist, dass es uns gibt.“

 

Text

Dazu gehöre auch, gesellschaftliche Themen aufzugreifen und sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen, findet der Superintendent. Zum Beispiel in den Bereichen Inklusion, Klimaschutz und Antirassismus könne die Kirche einiges bewegen. Trotz aller Bemühungen wird sich die Kirche darauf einstellen müssen, in den nächsten Jahrzehnten in kleinerem Rahmen zu agieren. Frank Uhlhorn sieht trotzdem optimistisch in die Zukunft:

 

O-Ton 6, Frank Uhlhorn, 28 Sekunden

Wir werden Formen finden, in denen wir mit weniger Mitgliedern eine kleinere Kirche werden. Aber ich hoffe, dass das nicht nur negativ ist. Sondern dass wir vielleicht auch ein Stück Lebendigkeit gewinnen können dabei. Ja, ich glaube, dass die Menschen, die [sich] zur Kirche zählen, dass die sehr bewusst diese Entscheidung treffen: ‚Ich möchte Mitglied der Kirche bleiben‘. Ich hoffe, dass wir daraus auch neue Impulse gewinnen können und dass wir immer noch eine Stimme in der Gesellschaft sein werden – auch eine wichtige Stimme -, aber uns eben auch einreihen müssen in andere Stimmen.“