Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Mailin Matthies
Datum:
Dauer: 03:26 Minuten bisher gehört: 217
In Privathaushalten, der Industrie, der Stadtverwaltung oder der Uni: Überall dort und noch an vielen weiteren Orten wurden während der NS-Zeit Zwangsarbeiter:innen eingesetzt – auch in Göttingen. An diejenigen, die durch die Zwangsarbeit in Göttingen gestorben sind, erinnert nun ein Gedenkstein auf dem Stadtfriedhof. Mailin Matthies war bei der Enthüllung dabei.

Oberbürgermeisterin Petra Broistedt enthüllte am Montag einen Gedenkstein in Erinnerung an die in Göttingen verstorbenen Zwangsarbeiter:innen (Bild: Mailin Matthies)

Manuskript

Text

Tausende Menschen mussten in Göttingen während der NS-Zeit Zwangsarbeit leisten, viele von ihnen sind auch hier verstorben. An diese Menschen soll nun auf dem Stadtfriedhof Göttingen erinnert werden. Oberbürgermeisterin Petra Broistedt hat am 8. Mai einen Gedenkstein für die Zwangsarbeiter:innen in Göttingen enthüllt. Der Tag dafür war nicht zufällig gewählt: Am 8. Mai jährte sich die Kapitulation der Nationalsozialisten vor den Alliierten. Ein guter Tag, um einen solchen Gedenkstein zu enthüllen, so Broistedt. Sie erklärte auch, wieso sie ein solches Mahnmal für wichtig hält:

 

O-Ton 1, Petra Broistedt, 25 Sekunden

Es gibt kaum noch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die uns von der Grausamkeit, von der Brutalität berichten können. Wir werden zunehmend immer mehr auf Schriften angewiesen sein, um uns an den Nationalsozialismus zu erinnern und ich finde es wichtig, aus der Geschichte zu lernen und das funktioniert nur, wenn wir uns ständig und immer wieder ins Bewusstsein rufen, was seinerzeit passiert ist, wie es auch passieren konnte, und dafür ist ein solcher Gedenkstein wichtig.”

 

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Die Menschen, die auf dem Ehrenfriedhof in Göttingen begraben liegen, sind vor allem Zwangsarbeiter:innen aus Osteuropa, speziell aus Polen und sowjetischen Gebieten wie der Ukraine. Kristin Kalisch, Leiterin des Stadtarchivs, erklärt:

 

O-Ton 2, Kristin Kalisch, 19 Sekunden

Sie waren sowohl in Privathaushalten als Dienstmädchen, sie waren in Gaststätten, sie waren in der Rüstungsindustrie, holzverarbeitendes Gewerbe, bei der Stadtverwaltung, der Universität, den Kliniken. Also eigentlich: Im Mittelstand, in der Verwaltung, überall gab es Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Das war sehr verbreitet.”

 

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Über 5.000 Menschen mussten in Göttingen insgesamt Zwangsarbeit leisten. Sie wurden in Lagern untergebracht, beispielsweise auf dem Göttinger Schützenplatz. 166 von ihnen liegen auf dem Stadtfriedhof begraben, darunter 18 Kinder. Die Todesursachen sind unterschiedlich, weiß Kalisch.

 

O-Ton 3, Kristin Kalisch, 26 Sekunden

Das waren vielfach Todesursachen, die durch schlechte hygienische Bedingungen in den Lagern oder durch mangelnde Ernährung sowie durch die Schwerstarbeit zustande kamen, also sei es Tuberkulose, Fleckfieber, also Erkrankungen in der Form, und natürlich auch Arbeitsunfälle, die passierten. 39 der Opfer, die hier liegen, sind durch einen Bombentreffer am 1. Januar 1945 auf den Schützenplatz, wo sich zwei Lager befanden, ums Leben gekommen.”

 

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Der Gedenkstein soll nun vor allem an diejenigen erinnern, die in Göttingen verstorben sind. Die verstorbenen Zwangsarbeiter:innen wurden auf dem Stadtfriedhof begraben. In den Siebzigerjahren sollten die Gräber auf den Ehrenfriedhof umgebettet werden. Allerdings wurden dabei irrtümlich 37 Gräber von Zwangsarbeiter:innen eingeebnet. Hans Georg Schwedhelm, Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in Göttingen, kritisierte in seinem Grußwort, dass die Verstorbenen auf dem Gedenkstein nicht namentlich genannt werden. Da die Zwangsarbeiter:innen während der NS-Zeit ohne Grabstein, sondern meist höchstens mit selbstgebastelten Grabzeichen wie einem Holzkreuz beerdigt wurden, sind die Gräber heute als solche nicht mehr zu erkennen. Schwedhelm forderte in seinem Grußwort, die Zwangsarbeiter:innengräber ebenso zu behandeln wie die Soldatengräber auf dem Ehrenfriedhof, die jeweils mit einem steinernen Kreuz versehen sind. “Auch Zwangsarbeitergräber sind Kriegsgräber”, betonte er. Unbekannte hatten vor der Enthüllung kleine Holzkreuze mit den Namen der Zwangsarbeiter:innen rund um den Gedenkstein aufgestellt.