Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Jennifer Bullert
Datum:
Dauer: 06:02 Minuten bisher gehört: 223
Die Gemeinde Friedland ist nicht nur aufgrund ihres Museums oder wegen des Grenzdurchgangslagers bekannt. Hoch oben und gut sichtbar im gesamten Umkreis thront die Gedächtnisstätte für Heimkehrer. Sie war am Wochenende Schauplatz für zwei versammlungsrechtliche Aktionen. Denn nachdem die Vereinigung „Aufbruch Heimat“ eine Kundgebung angemeldet hatte, formierte sich auch ein Gegenprotest des Bündnisses „Friedland ist bunt“ unter dem Motto „Keine Heimat für Nazis – nirgendwo! Friedland ist bunt“. Jennifer Bullert berichtet.

Der Gegenprotest hat sich am Mahnmal in Friedland auf der Wiese formiert. (Bild: Jennifer Bullert)

Manuskript

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Samstag, 20. August 2022 gegen elf Uhr am Bahnhof in Friedland: Rund 130 Menschen sind dem Aufruf des Bündnisses „Friedland ist bunt“ gefolgt und haben sich versammelt. Sie halten Plakate und Banner in die Höhe mit Aufschriften wie „Kein Ort für Nazis“, „Bunt statt Braun“, oder „Wider jeden Faschismus“. „Gemeinsam Zeichen setzen“ ist auf einem weiteren Banner zu lesen, das ganz vorne die Gegendemonstration anführt und die Absicht der Veranstaltenden auf den Punkt bringt: Zusammenstehen und sich gegen eine Instrumentalisierung des Mahnmals in Friedland einsetzen. Denn dorthin führte die Route und dort hielt die Vereinigung „Aufbruch Heimat“ eine Kundgebung ab. Von Kleinkindern, über den DGB und Lokalpolitiker bis zu den „Omas gegen Rechts“ – der Gegenprotest zeigte sich so bunt wie der Name des Bündnisses. „Hass, Fremdenhass und Rassismus dürfe nicht in unser aller Namen gedeihen“, betonte Haifa Rabah vom Bündnis. Pippa Schneider, die bei den kommenden Landtagswahlen für die Grünen im Wahlkreis Duderstadt antritt, war ebenfalls vor Ort. Flagge gegen Rechts zu zeigen sei heutzutage bedeutsamer denn je, erklärte sie.

 

O-Ton 1, Pippa Schneider, 13 Sekunden

Wir beobachten ein Erstarken von rechten Bewegungen in ganz Europa, international. Und ich glaube, es ist superwichtig, einfach jedes Mal, wenn Nazis irgendwo aufmarschieren, zu sagen: Ihr habt hier keinen Platz. Wir sind bunt. Und wir bleiben bunt.“

 

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Ein lautes Zeichen setzen – das sei das Ziel, so Schneider. Der Tross setzte sich schließlich in Richtung Mahnmal in Bewegung.

 

O-Ton 2, Atmo Gegenprotest, 18 Sekunden

Ob Ost, ob West: Nieder mit der Nazi-Pest. Ob Ost, ob West: Nieder mit der Nazi-Pest. Ob Ost, ob West: Nieder mit der Nazi-Pest“ - „Alle zusammen gegen den Faschismus. Alle zusammen gegen den Faschismus.“

 

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Angeführt von der Polizei fand sich die Gegendemo schließlich an der Wiese beim Mahnmal ein. Dort waren bereits ein Mikrofon und Lautsprecherboxen aufgebaut, ein großes buntes Plakat mit einem Bild der Gedächtnisstätte, einer weißen Taube und der Aufschrift „Friedland ist bunt – Bündnis für Vielfalt und Demokratie“ zierte den Standort für die Redebeiträge. Polizisten versperrten dabei den Zugang zum Mahnmal – dort hatten sich die Teilnehmenden aus der rechten Szene versammelt. Ein direktes Aufeinandertreffen sollte so verhindert werden. Wie die Polizei anfangs mitteilte, habe es sich um weniger als zehn Teilnehmende aus dem rechten Milieu gehandelt. Später sollen es insgesamt 16 geworden sein. Der Gegenprotest zählte in der Spitze knapp 200 Menschen. Dietmar Sedlaczek war schließlich der erste Redner hinterm Mikrofon. Er ist der Leiter der KZ-Gedenkstätte Moringen – ein Ort, an dem rechte Akteure bereits in der Vergangenheit Opfer des Nationalsozialismus verhöhnt haben, so Sedlaczek:

 

O-Ton 3, Dietmar Sedlaczek, 46 Sekunden

Es ging den rechten dabei um nichts anderes als die Relativierung der Leiden der Opfer und damit um das Negieren von Schuld und Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus. Solch ein Revisionismus ist ein zentrales Element eines rechtsextremen Weltbildes. Auch das Heimkehrer-Denkmal in Friedland ist ein symbolisch aufgeladener Ort. Geplant wurde es in den 1950er Jahren. In einer Zeit, als sich die Mehrheit der Deutschen für vieles interessiert hat, aber nicht für eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Gesellschaft und Politik kreisten um die aus ihrer Sicht eigenen Opfer: Gemeint waren deutsche Flüchtlinge, Vertriebene, Kriegsgefangene und Heimkehrer.“

 

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Es brauche eine sichtbare Kontextualisierung für das Mahnmal in Friedland, forderte Sedlaczek von der Politik. Schneider mahnte später in ihrem Redebeitrag auch an, dass es eine stetige Erinnerungskultur an die Gräuel des Zweiten Weltkrieges brauche. Gerd Hujahn, aktueller SPD-Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Münden, ist auch Vorsitzender des Ausschusses für Verfassungsschutzangelegenheiten in Niedersachsen. Mit Blick auf den jüngsten Verfassungsschutzbericht zeigte er sich besorgt.

 

O-Ton 4, Gerd Hujahn, 35 Sekunden

Wir haben eine stagnierende, leicht rückläufige Zahl, was die bekannten rechten Personen, rechtsextremen Personen angeht, Aber wir haben Tendenzen und die machen mir besonders Sorgen. Und das sind die Tendenzen, dass die Grenzen sich auflösen. Dass wir langsam dahin kommen, dass nicht mehr unterschieden werden kann. Wir hatten es von der Vorrednerin gehört, von Pippa. Wir haben Querdenker, wir haben Reichsbundleute. Wir haben eine ganze Menge. Das mischt sich. Und es wird immer schwerer, die Grenzen irgendwo abzustecken.“

 

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Dagegen müsse Kante gezeigt werden, bekräftigte Hujahn. Neben ihm sprachen sich auch weitere Rednerinnen und Redner für Engagement gegen Rechts aus. Die Polizei bilanzierte im Anschluss an die versammlungsrechtlichen Aktionen keine größeren Vorkommnisse. Zwei Ermittlungsverfahren seien jedoch eingeleitet worden. Einmal, weil eine Person beim Vorbeiziehen des Gegenprotestes aus ihrem Wohnhaus heraus den Hitlergruß gezeigt haben soll. Einmal, weil ein Teilnehmer der „Aufbruch-Heimat“-Kundgebung das Kennzeichen an seinem Auto optisch verändert haben soll. Barbara Decker, zuständig für die Pressearbeit der Gegendemonstration beim Bündnis „Friedland ist bunt“ zeigte sich im Anschluss erfreut über die breite Beteiligung verschiedenster Menschen am Gegenprotest. Dennoch verwies sie auch darauf, dass sowohl in den Redebeiträgen als auch in vielen Einzelgesprächen immer wieder Kritik am Mahnmal geäußert worden sei.

 

O-Ton 5, Barbara Decker, 39 Sekunden

Die Aussage des Mahnmals, was ja den deutschen Opfern des Zweiten Weltkrieges gedenkt, ist durchaus kritikwürdig und nicht ohne Grund werden dort rechtsextreme Versammlungen durchgeführt seit einigen Jahren. Sodass sich viele Beteiligte auch einig waren: Es gilt auch sich in Zukunft kritisch damit zu befassen: Wofür soll das Mahnmal Friedland denn in Zukunft stehen? Und ist es nicht auch Zeit, da eine Veränderung vorzunehmen oder das umzuwidmen? Denn die eigentlichen Opfer des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus werden auf dem Mahnmal gar nicht erwähnt.“