Sendung: Mittendrin Redaktion Kommentar
AutorIn: Jennifer Bullert
Datum:
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Seit heute wird in den EU-Staaten das neue Europäische Parlament gewählt. Anders als in Wahlen für Bundes-, Land- oder Kreistag stehen auf dem Wahlzettel nur die Parteilisten. Sonntag öffnen dann auch bei uns die Wahllokale. Knapp 65 Millionen Bundesbürger können dann ihr Votum abgeben. Warum wir unbedingt wählen gehen müssen, hat Jennifer Bullert kommentiert.

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Mehr als 512 Millionen Menschen leben in der Europäischen Union. Eine halbe Milliarde Menschen also, von der der Großteil zwischen dem 23. und 26. Mai die künftigen Geschicke des Kontinents mitbestimmt. Das Einzige, was wir dafür machen müssen: Unsere Stimme nutzen und wählen gehen. Aber genau das scheint den meisten Menschen immer schwerer zu fallen. Während 1979 noch rund 62 Prozent der Wahlberechtigten in die Wahllokale strömten, waren es 2014 nur noch knapp 42 Prozent – also nicht einmal die Hälfte. Eigentlich müsste diese Wahlmüdigkeit verwundern: Je größer die EU geworden ist, desto niedriger die prozentuale Zahl der abgegebenen Stimmen. Statt der Wahlbeteiligung wächst etwas anderes in Europa: Der Populismus ist im Aufwind, Euroskeptikern gelingt es, immer mehr Menschen für sich zu begeistern und die europäische Idee in Frage zu stellen. Bestes Beispiel dürfte da der Brexit sein. Ironischerweise dürfen auch die Briten dieses Jahr noch einmal an die Wahlurnen treten und ihre EU-Repräsentanten bestimmen. Kein Wunder, dass immer wieder von einer Schicksalswahl die Rede ist. Was passiert also, wenn die Wahlbeteiligung weiter sinkt? Die Populisten gewinnen mit ihren Parolen anteilmäßig an Gewicht im Parlament und können wichtige EU-Entscheidungen boykottieren. Und warum? Weil viele Menschen enttäuscht von der Politik sind, es „denen da oben“ heimzahlen wollen, oder der Politik auf EU-Ebene achselzuckend gegenüberstehen im Sinne von: Das wird schon! Nein, wird es eben nicht! Mehr als 70 Jahre Frieden im Großteil von Europa sind in Gefahr! Dabei hatte die EU 2012 noch den Friedensnobelpreis erhalten! Auf diesem Erfolg darf sie sich aber nicht ausruhen! Sie muss weiter an sich arbeiten, bürgerfreundlicher werden, darf dabei aber nicht den Populisten das Feld überlassen. Und da stehen nicht nur die Politiker in der Verantwortung, sondern jeder einzelne Wahlberechtigte. Widmen wir uns doch einmal einem Gedankenspiel: Wenn sich plötzlich alle weigern würden, arbeiten zu gehen, weil sie unzufrieden mit ihren Arbeitgebern sind und es ihm mal so richtig zeigen wollen – das gesellschaftliche Leben würde zum Erliegen kommen. Müll würde nicht mehr abgeholt werden, sich stapeln und irgendwann die ersten Krankheiten verursachen. Mehr und mehr Menschen würden sterben, weil sie keine medizinische Versorgung bekämen, Chaos und Plünderei würden ausbrechen, weil keiner mehr die Einhaltung der Gesetze kontrolliert. Wir gehen arbeiten, um Geld zu verdienen und davon zu leben. Und genauso müssen wir auch wählen gehen! Denn damit legen wir die Weichen für unsere Zukunft fest. Natürlich ist es bequemer, sich am 26. Mai nicht extra aufzuraffen und ins Wahllokal zu schleppen, aber dazu gibt es ja auch die Möglichkeit der Briefwahl. Und genau hier hätte die Politik eine Chance, moderner zu werden. In Zeiten, in denen die Digitalisierung eines der Schlagworte der Stunde sind, in denen mehr und mehr amtliche Vorgänge ins Internet verlagert werden, müsste die Politik auch bei Wahlen nachziehen. Klar sind dafür entsprechende Sicherheitsvorkehrungen nötig um eine allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl per Mausklick zu gewährleisten. Aber mal ehrlich: Mittlerweile machen wir unsere Bankgeschäfte über den Computer oder das Smartphone. Und da fließen ebenfalls sehr sensible Daten. Wenn jeder die Möglichkeit hätte, nach einer Authentifizierung mit einem Klick im Internet seine Stimme abzugeben: Würde da die Wahlbeteiligung nicht automatisch steigen, weil die Wahl dann viel schneller auf der To-do-Liste abgehakt werden kann? Darüber sollte die Politik einmal ernsthaft nachdenken. Es wäre jedenfalls eine sinnvolle Alternative zu einer weiteren Option: Der Wahlpflicht. Aber wer mag schon etwas tun, weil er dazu gezwungen wird? Bis sich etwas ändert, heißt es jedenfalls - falls Sie nicht längst per Briefwahl Ihre Stimme abgegeben haben: Schlüpfen Sie am Sonntag in Ihre Schuhe, schnappen Sie sich Ihre Wahlbenachrichtigung sowie den Personalausweis und ab ins nächste Wahllokal. Sehen Sie es wie ein Gewinnspiel: Hier gibt es zwar nicht die üblichen Sachpreise abzustauben, aber dafür eine Zukunft mit einem friedlichen Miteinander und Zusammenhalt.