Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Roman Kupisch
Datum:
Dauer: 04:57 Minuten bisher gehört: 273
Es gibt politische Ämter, für die braucht es ein gewisses Alter. Ausdrücklich nicht gilt das für das Amt des Bundeskanzlers – da reicht es schon wenn man alt genug ist sein eigenes Auto zu fahren. Anders ist es schon beim Amt des Bundespräsidenten, hier beträgt das Mindestalter 40 Jahre. Die härteste Altersbeschränkung aber gilt für die Mitgliedschaft im Rat der Weisen von Duderstadt. Unter 99 Jahren kommt da keiner rein. Dafür wird die Mitgliedschaft automatisch mit Erreichen des Mindestalters überreicht. Immerhin sechs Mitglieder zählt der Rat. Eine Frauenquote muss allerdings nicht gefordert werden, denn Männer sucht man hier vergebens. Einmal im Jahr tagt der Rat bei Kaffee und Kuchen im Rathaus. Von den sechs aktiven Ratsmitgliedern sind drei gekommen. Fürs Stadtradio vor Ort war Roman Kupisch.

Manuskript

Text

Man könnte ja nun den Fehler begehen und die Veranstaltung für etwas altbacken halten. Drei über hundert Jahre alte Damen, die aus ihrer Kindheit erzählen. Doch mögen die Geschichten alt sein, die Veranstaltung selber ist alles andere als altbacken, im Gegenteil sie ist sogar höchst modern. Denn sie ermöglicht eine Erfahrung, die wohl kaum ein Mensch machte, als diese alten Damen noch jung waren. Nämlich genau das, dass drei über hundertjährige beisammen sitzen, Geschichten erzählen und Gedichte vortragen. Den zweiten Fehler, den man im Lichte dieser neuen Information begehen könnte ist, das ganze nun allein dem Verdienst der modernen Medizin zuzuschieben. Denn ob man alt wird, hängt unter anderem auch davon ab, ob man alt werden möchte. Ein lebenswertes Umfeld ist da förderlich. Pluspunkt für Duderstadt also? Zumindest hat seine Stadt, laut Bürgermeister Wolfgang Nolte, manch anderen Regionen etwas voraus.

 

O-Ton 1, Wolfgang Nolte, 21 Sekunden

"Ja wir haben ja einige Regionen in der Bundesrepublik und dazu zählt in besonderer Weise das Eichsfeld, wo gottlob auch jüngere Generationen schon überlegen: kann ich in meiner Heimat bleiben. Einige führt es durch Studium, durch Ausbildung raus – unser Anliegen ist aber immer wieder auch: erinnert euch und kommt zurück."

 

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Und das scheinen sie auch zu tun. Zwar sinkt, wie fast überall in Deutschland auch hier die Bevölkerung, zwar verzeichnet die Stadt eine besonders hohe Bildungsabwanderung, aber: Die sogenannte mittlere und die ältere Generation zieht es vermehrt nach Duderstadt. Wird die Stadt dadurch riesen Freiluft Altersheim. Keineswegs, denn Nolte ist sich sicher: Politik für Alte gelingt nur, wenn die jungen Generationen gehalten werden.

 

O-Ton 2, Wolfgang Nolte, 33 Sekunden

"Im Mittelpunkt steht natürlich: Zusammenhalt deutlich machen, auch älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern das Zeichen zu geben ihr gehört dazu. Für uns als Stadt ein Schritt auf dem langen Weg zu einer barrierefreien, generationenfreundlichen, familienfreundlichen Gemeinde. Da gehen wir Schritt für Schritt und dieser Baustein gehört dazu. Alles das versuchen wir hier gut zu leben und nicht nur in großen Worten zu erklären."

 

Text

Empfänge im Rathaus sind das eine, Pflege und eine medizinische Grundversorgung sind das andere. Und auch dafür ist Zusammenhalt wichtig. Denn bei der Betreuung alter Menschen sind die ersten Ansprechpartner die Angehörigen. Einige alte Menschen hätten noch Angehörige, die sich um sie kümmern, wie die Integrationsbeauftragte von Duderstadt Regina Steffens Grosche angibt. Doch selten könnten die Angehörigen die Pflege ganz alleine übernehmen. Unterstützt würden sie bei Bedarf von einem gut ausgebauten Netzwerk ambulanter Pflegedienste.

 

O-Ton 3, Regina Steffens-Grosche, 31 Sekunden

"Natürlich stoßen die verschiedenen Pflegedienste, die wir haben auch irgendwann mal an ihre Grenzen und sie müssen gucken, wo sie ihre Prioritäten setzen, aber im Großen und Ganzen ist es tatsächlich so, dass dieses Netzwerk hier und auch bis weit raus in die Ortsteile sehr sehr gut läuft. Und ich kann es nur von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sagen, viele davon kenne ich einfach auch aus ganz unterschiedlichen Situationen heraus, sind unglaublich engagiert und liebevoll und fachlich kompetent und da läuft unheimlich viel."

 

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Dazu gehöre auch, dass in Duderstadt die Wege kurz und die Pflege nicht nur eine anonyme Dienstleistung sei. Denn viele Angestellte in der ambulanten Altenpflege kommen aus der Region. Erstaunt ist Steffens-Grosche aber auch darüber, wie sehr sich die ganz alten noch interessieren für die Welt in der sie leben. Viele nähmen Anteil an politischen Vorgängen und gingen auch zur Wahl. Ebenso hätten auch die meisten einen arbeitsamen Alltag. Eine strickt Babygarnituren für Hilfswerke, eine andere legt wert darauf ihren Haushalt alleine zu führen. Frau Nietmann wiederum verfasst Gedichte und trägt sie dann auch noch auswendig vor. Zwar ist das folgende Gedicht über ihre Kindheit in Quakenbrück, aber manches davon gilt sicherlich auch für Duderstädter Kindheiten.

 

O-Ton 4, Margarete Nietmann, 39 Sekunden

"Quakenbrück mein Heimatstädtchen, ja so gerne war ich dort

Meine Jugend meine Kindheit, alles verlebte ich an diesem Ort

Schorlemer Wald, ganz in der Nähe, ja der ist wirklich wunderschön

Möcht noch mal mit meinen Eltern Hand in Hand zum Walde gehen

Möcht noch mal die Vöglein hören, die da zwitschern hoch im Baum

Möchte auch den Kuckuck hören, der da ruft am Waldessaum

[...]

Und dann kam ich in die Schule und ich ging so gern nach dort

Und der Lehrer erzählt Geschichten alles über unseren Ort."

 

Text

Das gesamte Gedicht hat noch etliche Zeilen mehr, sie hier alle wiederzugeben würde den Rahmen der Sendung sprengen. Wer mehr darüber erfahren möchte wie Kindheit und Jugend in Quakenbrück oder Duderstadt vor hundert Jahren aussah – der Rat der Weisen tagt auch im nächsten Jahr wieder.