Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Annika Quentin
Datum:
Dauer: 03:44 Minuten bisher gehört: 171
Robert Seethaler ist in der Literaturwelt schon lange kein unbekannter Name mehr. Regelmäßig erobern seine neuen Romane die Bestsellerlisten. So auch sein dieses Jahr erschienenes Werk „Das Café ohne Namen“. Worum es darin geht und ob es lesenswert ist, erfahren Sie nun in einer Rezension von Annika Quentin.

Manuskript

Text

Robert Seethaler ist bekannt für seine Romane über die kleinen Leute. Seine Charaktere sind keine großen Helden, sondern Menschen wie Sie und ich. Diese beschreibt er mit einfachen Worten und dennoch tiefster Empathie.

 

So auch in seinem neusten Roman „Das Café ohne Namen“, der dieses Jahr erschien. Die Handlung des Buches beginnt im Wien des Jahres 1966. Der Protagonist, Robert Simon, teilt sich eine Wohnung mit der Kriegerwitwe Martha. Seine Eltern hat er früh verloren, hat sich aber mit viel Fleiß und Arbeit selbst ein bescheidenes Leben aufgebaut. Eigentlich verdient er seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeit auf dem Karmelitermarkt. Doch langsam ändert sich etwas um ihn herum und dadurch auch in ihm selbst. Die Stadt hat den Krieg langsam hinter sich gelassen und ersteht aus ihren Trümmern auf. Die Wirtschaft befindet sich im Aufschwung. Simon lässt sich von diesem neuen Wind mitreißen und entscheidet, ein Café aufzumachen.

 

Sein Café bietet nur ein überschaubares Angebot, und ist eigentlich viel eher eine Kiez-Kneipe als ein Café, wie wir es kennen. Das Interessante an dem Café sind die Menschen, die es besuchen. Menschen aus dem Viertel, einem der schmutzigsten und ärmsten Stadtvierteln Wiens. Eine davon ist Mila, die erst als Näherin gearbeitet hat und dann als Kellnerin in Simons Café anfängt. Sie ist eine robuste und fleißige Frau, die sich von keinem Vergnügen der Welt ablenken lässt. Ein anderer ist René, ein Ticketverkäufer und Wrestler, der von einer großen Karriere in Amerika träumt. Auch Georg, der einsame Trinker, ist ein Stammgast hier. All diese Menschen bringen ihre Geschichten mit. Manche reden von Hoffnung, andere müssen einen schweren Verlust verkraften, einige treffen unerwartet eine neue Liebe.

 

Das Buch deckt einen Zeitraum von etwa zehn Jahren ab. Winter und Sommer wechseln sich ab. Auf Zeiten, in denen das Café voll ist, folgen Wochen mit wenig Gästen. Und auch um das Café herum passiert viel. Es werden U-Bahnen und Wolkenkratzer gebaut. Die Welt verändert sich und die Menschen müssen sich anpassen. Doch eigentlich interessieren die Veränderungen die Besuchenden des Cafés kaum. Sie scheinen nicht so recht in die neue Welt zu passen.

 

Seethalers Schreibstil ist gewohnt unaufgeregt. Dennoch kann man seine Liebe zu seinen originalen Charakteren herauslesen. Mit wenigen, klaren Worten erzählt er vom Leben dieser Menschen, doch wenn Sie sich darauf einlassen, werden Sie die Melancholie und die Nähe des Autors zu seinen Figuren fühlen können.

 

Das Buch ist für alle, die klassische Seethaler-Romane wie „Der Trafikant“ oder „Ein ganzes Leben“ mochten, absolut zu empfehlen! Wer fesselnde Spannung und unerwartete Wendungen erwartet, wird hier allerdings nicht fündig. Das Buch ist sehr ruhig. Als Leser*innen können wir das Leben ganz normaler Menschen miterleben, mit allen Höhen und Tiefen, und dem unbedingten Willen zu überleben. Manche der Charaktere wollen aber noch mehr: Sie fühlen einen Drang zum Aufbruch. Auch wenn wir von Männern und Frauen lesen, die Rückschläge verkraften müssen und scheitern, schimmert ein unzerbrechlicher Lebenswille durch die Zeilen. Die kurzweiligen Glücksmomente, die immer wieder vorkommen, machen den Roman zu einem lebensechten, tröstenden Leseerlebnis. Durch seinen Schreibstil lässt uns Seethaler selbst entscheiden, wie nah wir uns seinen Charakteren fühlen wollen. Sicher ist aber, dass Leser*innen Simon, Mila, René und die anderen nicht so schnell wieder vergessen werden.