Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Jeanine Rudat
Datum:
Dauer: 03:40 Minuten bisher gehört: 212
Besonders seit dem Tod von Jîna Mahsa Amini sind die Themen Kopftuchzwang und Frauenrechte in islamischen Ländern wieder in aller Munde. Die 22-jährige Iranerin wurde im September 2022 von der Sittenpolizei festgenommen, weil ihr Kopftuch nach Maßgabe der Sittenpolizei nicht richtig saß. Sie starb nach Misshandlungen durch die Polizei an ihren Verletzungen. Heute ist der No Hijab Day – eine Antwort auf den 2013 ins Leben gerufenen World Hijab Day. Der No Hijab Day soll darauf aufmerksam machen, wie sehr Frauen unter dem Kopftuchzwang leiden. Ins Leben gerufen wurde er unter anderem von der Kanadierin und Ex-Muslimin Yasmine Mohammed. Ihr Engagement ist in ihrer eigenen Lebensgeschichte begründet. In ihrem Buch „Schleier der Tränen“ berichtet sie über ihren Ausbruch aus ihrer radikal-islamischen Familie und ihren Weg in die Freiheit. Jeanine Rudat hat ihre Autobiografie gelesen.

Yasmine Mohammed - Schleier der Tränen (Bild: Bastei Lübbe Verlag)

Manuskript

Text

Als Yasmine geboren wurde, unterschied sich ihr Leben nicht von dem anderer kleiner Mädchen in Vancouver, Kanada. Ihre Mutter, die Nichte des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Naguib, und ihr palästinensischer Vater führten mit ihr und ihren zwei Brüdern ein säkulares Leben. Yasmine alberte mit ihren Brüdern herum und trug Hosen; von einem Kopftuch keine Spur. Ihre Mutter hatte auf ihrem Hochzeitsfoto 1968 sogar eine moderne Hochsteckfrisur und ein Minikleid an. Doch dann verließ der Vater die Familie und ihre Mutter suchte Gemeinschaft und Halt. Sie ging in die örtliche Moschee und lernte dort einen Mann kennen. In zweiter Ehe verheiratet und Vater ebenfalls von drei Kindern. Aus der lebenslustigen und modernen Frau wurde eine verbitterte, sich als Zweitfrau dem Mann unterwerfende Person. Sie zog zu „Onkel Mounir“ in eine elende Kellerwohnung, ließ zu, dass er ihre Kinder beschimpfte, schikanierte, bestrafte, schlug und Yasmine sogar sexuell von ihm belästigt wurde. Yasmine erkannte ihre Mutter nicht wieder. Ganz plötzlich durfte sie nicht mehr nach draußen gehen, wurde gezwungen fünfmal am Tag zu beten. Ab ihrem neunten Lebensjahr musste sie einen Hijab tragen und ihr Stiefvater, ein hochrangiger Al-Qaida-Stratege, schlug sie brutal, wenn sie ihre Suren nicht auswendig konnte. Ihre Mutter schützte sie nicht, sondern beteiligte sich sogar an der Gewalt. Viel schlimmer war aber der Psychoterror, dem sie durch ihre Mutter ausgesetzt war. Tagein tagaus demütigte sie ihre Mutter, liebevolle Zuwendung gab es nicht. Als sie auf eine islamische Schule wechselte, stand sie gänzlich unter der Kontrolle ihrer Mutter, die dort auch Lehrerin war. Mit 13 hielt sie es nicht mehr aus und vertraute sich einem Lehrer an und zeigte ihm ihre blauen Flecken. Doch trotzdem sich die Polizei einschaltete und der Fall vor Gericht ging, kam Yasmine nicht frei. Der Richter entschied, dass ihre Eltern sie disziplinieren durften, da dies in ihrer Religion so üblich sei. Yasmine gab sich völlig auf und Selbstmord schien ihr die einzig hoffnungsvolle Option. Doch dann begegnete sie einem gutaussehenden jungen Mann, auch Araber, und hoffte, wenn sie ihn heiraten und mit ihm zusammenziehen würde, der Kontrolle ihrer Mutter entgehen zu können. Nicht ahnend, dass sie dadurch in einer noch größeren Hölle landen würde … Yasmine Mohammeds Leben klingt wie ein schlechter Film und ist doch leider wahr. In ihrer gerade als Taschenbuch veröffentlichten Autobiografie „Schleier der Tränen“ schildert sie ihren Ausbruch aus ihrer radikal-islamischen Familie und ihren mühsam erkämpften Weg in die Freiheit. Den Niquab, den sie seit sie 19 Jahre alt war, tragen musste, hat sie längst abgelegt und engagiert sich von Kanada aus für Frauenrechte und macht sich gegen das Tragen eines Kopftuches stark. Denn dies ist oft nicht freiwillig und nur eine weitere Handhabe der Männer, den Frauen zu zeigen, wo ihr Platz in der Gesellschaft ist. Sie hat es am eigenen Leib erfahren, dass sogar ihre Mutter ihr sagte, dass sie sie lieber töten würde, als zu sehen, wie sie unverschleiert herumläuft. Es ist erschreckend, dass so viele Frauen auch heute noch unter der starken Unterdrückung der Männer leiden und das nicht nur in fernen Ländern wie dem Iran, sondern auch hier im Westen. In einer Parallelgesellschaft leben diese Frauen mit einem Tür an Tür und sind nicht frei. Es erschreckt, dass sogar das Gericht nicht für das Kindeswohl entschieden hatte, als Yasmine damals den Missbrauch öffentlich machte, sondern auf keinen Fall als ausländerfeindlich oder islamfeindlich dastehen wollte und seine Entscheidung lapidar mit einer anderen Kultur begründet hat. Ihr Buch rüttelt auf und zeigt, dass gerade wir im Westen stärker hinsehen sollten und, wo wir Missstände entdecken, sie anzeigen und mit auf die Straße gehen sollten. Ein aufrüttelndes Buch einer mutigen Frau, die keine Angst hat, für ihre Überzeugungen zu kämpfen.