Franz Kafkas „Brief an den Vater“ - Schauspielprojekt im „NichtnurTheater“
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Tina Fibiger |
Datum: | |
Dauer: | 05:31 Minuten bisher gehört: 165 |
Manuskript
Text
„Ich bin Kafka“ verkündet die Gestalt, die versucht, auf dem winzigen Stuhl zu einer selbstbewussten Haltung zu finden. Gleich wird sich Fabio Rocchio aufrichten, um mit Lars Schmitz und Janosch Schneider den dunklen Bühnenraum zu bestürmen. Wie ein wilder Rausch dringen die Motive aus Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ mit abenteuerlichem Tempo durch die Lautsprecher, während die drei Schauspieler Kafkas Gedanken zunächst in einen Chor widerspenstiger Stimmen verwandeln. Unmengen grauer Blätter mit Kreidespuren segeln durch die Luft, die an verwischte Erinnerungsspuren erinnern, in die sie jetzt hinein hören.
O-Ton 1, Einspieler „Brief an den Vater“, 28 Sekunden
Text
Das scheue Kind sucht noch die Verständigung mit dem Vater und mag ihm auch keine Schuld an den Kränkungen und Verletzungen zumuten, die immer noch sehr präsent sind. Doch schon meldet sich in dem Brief an den Vater die Stimme des Chronisten zu Wort, der jede einzelne Demütigung auflisten könnte und jetzt mit der Stimme des nachdenklichen Beobachters konfrontiert wird. Der kommentiert die autoritären Verhältnisse und Erziehungsmuster, in denen Zuneigung und Verständigung kein Thema waren, sondern Drill und Anpassung, gespickt mit Vorurteilen und Gehässigkeiten.
O-Ton 2, Einspieler „Brief an den Vater“, 29 Sekunden
Text
Der Bühnenraum ist mit den schwarzen Wänden dunkel gehalten. Es gibt drei schwarz gefärbten Kinderstühle, in denen die drei Schauspieler auch das Gefühl des bedrängt und bedrückt Seins betonen, das in Kafkas Brief an seinen Vater immer wieder anklingt. Dass die Worte auf den späteren Schriftsteller wie Stockhiebe einprügelten und der sich trotzdem keine Schmerzensschreie erlaubte, auch wenn sie ständig nachhallen. Die mentalen Narben sind noch längst nicht verheilt. Trotzdem wird in der Chronik von alltäglichen Kollisionen zwischen Vater und Sohn spürbar, dass der Brieferzähler sich nicht nur nach einer erlösenden Erkenntnis sehnt, sondern ebenso sehr nach Nähe und Anerkennung. Und so demonstriert Fabio Rocchios Inszenierung auch, dass es mehrere starke Stimmen braucht, die einander Halt geben, um das frühere Familienlabyrinth zu durchdringen.
O-Ton 3, Einspieler „Brief an den Vater“, 16 Sekunden
Text
Manchmal durchdringt das Klappern der Tasten auf der mechanischen Schreibmaschine, die Suche nach Verständigung mit diesem Vatermonster, das die Wohnküche mit einem Schützengraben zu verwechseln scheint. Dann drängen sich die drei Schauspieler um einen winzigen Tisch, wo das manierlich geordnete Besteck wie ein Waffenarsenal anmutet, bis es wieder an der Zeit ist für einen gedanklichen Fluchtversuch oder einen Hoffnungsschimmer, der sich mit einem Stück Kreide an einer Tafel für den Moment festhalten lässt. Worte wie Papa, Flucht, Schrei oder Liebe lassen sich natürlich leicht wegwischen, aber verschwinden wollen sie auch auf den Papierfliegern nicht einfach so, die Fabio Rocchio, Lars Schmitz und Janosch Schneider jetzt durch die Luft wirbeln lassen. Für einen Moment verwandeln sie sich in Freiheitsträumer, die einander bei Chopin-Klängen sehnsüchtig umkreisen und für ein Foto mit strahlenden Gesichtern vor der Kamera posieren, damit der „Brief an den Vater“ am Ende endlich seine befreiende Wirkung entfaltet.
O-Ton 4, Einspieler, Brief an den Vater“, 33 Sekunden
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