Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Eva Neubert
Datum:
Dauer: 04:06 Minuten bisher gehört: 203
Der Krieg in der Ukraine ist nun seit fast vier Wochen erschütternde Realität. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskj erhält viel Aufmerksamkeit und Achtung für seine Standhaftigkeit in dem Konflikt. Ein Blick in seinen Lebenslauf überrascht allerdings: Der ehemalige Schauspieler und Komiker war nämlich vor seinem Amtsantritt schon einmal Präsident - in der Serie „Diener des Volkes“. Nach ihrem großen Erfolg 2015 im ukrainischen Fernsehen wurde Selenskyi mit der gleichnamigen Partei vier Jahre später zum Präsidenten der Ukraine gewählt. Eva Neubert hat sich die Serie angesehen.

Manuskript

Text

Ein von der Politik enttäuschter Geschichtslehrer, der nach der Trennung von seiner Frau wieder bei den Eltern lebt, wird über Nacht zum Präsidenten gewählt. Zu seiner eigenen Verwunderung besteht sein Alltag nun darin, korrupte Politiker*innen zu überführen und das Land zu reformieren. Auslöser ist ein von seinen Schüler*innen heimlich gefilmtes Video. Dieses zeigt den Lehrer Wassily Goloborodko, wie er sich über die Politik in der Ukraine entrüstet. Schnell verbreitet es sich im Internet und findet weitreichende Zustimmung. Die Schüler*innen fordern Golobordko auf, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, und finanzieren per Crowdfunding den Wahlkampf. Tatsächlich wird Goloborodko zur Überraschung vieler mit großer Mehrheit gewählt und steht nun vor der Aufgabe, seinen Ansprüchen gerecht zu werden und den Politikapparat gründlich umzukrempeln.

Doch das ist gar nicht so einfach. Viele Politiker*innen haben sich allzu sehr an ihren luxuriösen Lebensstil gewöhnt, allen voran der Premierminister, dessen genaue Position zu Beginn der Serie noch unklar bleibt. Und auch Goloborodkos Familie sehnt sich danach, etwas vom Reichtum abzubekommen, nun da Wassily Präsident ist. Goloborodko reagiert darauf meist recht gelassen, aber konsequent: Weder Korruption im großen Stil noch eine Bevorzugung der eigenen Familie lässt er durchgehen. Seine Figur scheint die Verkörperung der großen Ideale der Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit und des Verständnisses für die Belange aller Bürgerinnen und Bürger zu sein. So ist es für den neuen Präsidenten nicht ungewöhnlich, dass er weiter bei seiner Familie wohnt, seinen eigenen Personenschützern kündigt, um Geld zu sparen, und auch mal mit dem Bus zur Arbeit fährt. Da überrascht es etwas, als Goloborodko nach erfolglosen Versuchen, nicht korrupte Minister*innen zu ernennen, einige Posten mit Freund*innen aus der Schulzeit besetzt, darunter auch seine Ex-Frau. Doch auch diese Entscheidung ist ganz dem Ziel gewidmet, aus der Mitte der Gesellschaft heraus zu regieren. Dass sich der neue Präsident dabei nicht nur Freund*innen macht, ist vorprogrammiert. In der Gestalt dreier Oligarchen zeigt die Serie die engen Verflechtungen von wirtschaftlichen Interessen, Geld und politischer Macht. Die drei Personen bleiben bis zu einem entscheidenden Moment in einer der letzten Episoden der ersten Staffel gesichtslos. Dieser gelungene Kniff betont ihr Agieren im Hintergrund und lässt die Zuschauenden erleben, wie schwierig es ist, ein genaues Bild von ihren Machenschaften zu erlangen.

Die Serie schafft es auch, mit einigen unerwarteten Wendungen scheinbar vorhersehbare Entwicklungen zu durchkreuzen. Der ungewöhnliche Präsident überrascht die Regierung, das Parlament und seine Familie immer wieder mit seinen unpopulären Entscheidungen. Doch Goloborodko scheint stets einen Ausweg aus noch so verzwickten Situationen zu finden. Unterstützung findet er dabei im Kreis seiner engsten Vertrauten - den Minister*innen, die er zu Beginn der Amtszeit berufen hat. Seine Freund*innen entwickeln sich nach einigen Startschwierigkeiten und trotz mancher Macken zu standfesten Politiker*innen. Das ist wohl auch nötig, denn Rückschläge erleben sie zur Genüge. Ob die Macher*innen der Serie 2015 ihren weitreichenden Erfolg weit über die fiktive Welt in unseren Bildschirmen hinaus geahnt haben, bleibt wohl zu bezweifeln. Dennoch greifen sie ganz eindeutig gesellschaftliche Spannungen in der Ukraine auf und schaffen ein Plädoyer für ein demokratisches Zusammenleben. Die lebensnahen Charaktere mit ihren großen Idealen und persönlichen Schwächen wecken Sympathien bei den Zuschauenden, allen voran die Figur des Präsidenten Wassily Goloborodko. Dass dabei die weiter relevante Frage nach gesellschaftlicher Machtverteilung aufgegriffen wird, macht die Serie auch heute noch sehenswert. Vor dem Hintergrund des andauernden Kriegs in der Ukraine erscheinen manche satirische Szenen nun jedoch eher tragisch als komisch.