Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Roman Kupisch
Datum:
Dauer: 03:04 Minuten bisher gehört: 177
Der Kultur, dem Theater wird gerne nachgesagt, besondere Antennen für gesellschaftliche Stimmungen zu haben. Vielleicht ist es auch das Theater selber, das diesen Befund kolportiert. Wie dem auch sei, im Jahre 2019 bewies das Deutsche Theater Göttingen tatsächlich prophetische Kraft, denn es nahm Horst Evers Monolog-Stück "Der perfekte Moment - total verpennt" ins Programm. Der Protagonist im fortgeschritten mittleren Alter kommt einfach nicht aus dem Quark. Ein Leben in der etwas unfreiwilligen Entschleunigung. Er würde ja, wenn er nur wollte, aber scheinbar will er nicht. Das Ergebnis ist die häusliche Isolation. Etwas, womit schon bald nach der Premiere viele Bekanntschaft machten. Roman Kupisch hat die Inszenierung für uns rezensiert.

Manuskript

Text

Der perfekte Moment für eine Rezension – total verpennt, denn das Stück, um das es hier geht, ist schon lange im Spielplan des DT. Allerdings: es wird dort auch noch eine kleine Ewigkeit bleiben. Die Erfolgszutaten sind einfach zu gut gewählt. Eine Stunde mit Publikumsliebling Ronny Thalmeier im Bistro des Deutschen Theaters. Wer will, kann essen und trinken, was immer auf der Karte steht, während Thalmeyer auf der Bühne den Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens aufnimmt (wie so oft). Horst heißt seine Figur, genauso wie der Autor des Stücks. Mit dem französischen Philosophen Blaise Pascal stimmt Horst darin überein, dass das ganze Unglück der Menschen allein daher rührt, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen. Horst würde gerne in seinem Zimmer bleiben. Allein, man lässt ihn nicht. Es klingelt, die Welt ruft an und reißt Horst am frühen Vormittag aus tiefstem Nachtschlaf. Den Telefonhörer mit seinem Wasserglas verwechselnd findet er sich bald im durchnässten Schlafanzug vor seiner Wohnung wieder. Was folgt sind Scherereien mit den lieben Nachbarn, missgelaunte Schlüsseldienste und die Erkenntnis, wenn es kommt, dann kommt es dicke. Auf dieser Humorebene geht es dann die nächsten 60 Minuten weiter. Dass der Abend mehr zu bieten hat als Standardvariationen des Klassikers "Couchpotato gegen Welt" liegt vor allem an dem Schauspieler. Thalmeyer gelingt es die ganze Trägheit seiner Figur, ihren Wunsch nach Ruhe durch geradezu mitreißende Agilität zu verkörpern. Dafür braucht er weiter nicht viel. Bis auf eine eher metaphorisch gemeinte Wohnwagenkulisse im Hintergrund ist die Bühne nur mit dem Nötigsten eingerichtet. Das Telefon, das wiederkehrend den Einbruch des Außen einläutet zum Beispiel, ist bloße Behauptung. Entgrenzt wird das Bühnengeschehen durch kleine Filmeinspieler, die Horst bei unmotivierten aber gutgelaunten Ausflügen in der näheren Umgebung zeigen. Mit dabei, ein trockenes Brötchen, das zeitweilig an Freundes statt an seiner Schulter klebt. Näheres dazu lassen Sie sich am besten von Horst selber erklären. Dass "Der Perfekte Moment – total verpennt" nicht durchweg als Komödie zündet, liegt aber nicht nur an Fragen des Humor-Geschmacks. Denn trotz seiner sympathischen Lümmeligkeit lassen sich bei Horst schwere existenzielle Krisen erkennen. Wie ein Angestellter seines eigenen Lebens, der sich nichts sehnlicher wünscht als ewigen Feierabend trottet er durch die Szenen. Wäre er wenigstens suizidal veranlagt, böte sich ein Ausweg an. Aber so ist es nicht. Und damit gerät der Abend bisweilen etwas beklemmend. Die Erlösung kommt, aber spät. Nach einigen gescheiterten Katharsis-Versuchen ist es am Ende eine unerwartete Wendung, ein Deus-ex-Machina-Plot der Horst Rettung verspricht. Aber das lassen Sie sich am Besten auch von Horst selber erzählen.