Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Anastasia Tschusovitin
Datum:
Dauer: 03:36 Minuten bisher gehört: 533
Die Themen Digitalisierung und Datenschutz sorgen vor allem jetzt in der Corona-Krise wieder für hitzige Debatten. Viele Menschen fürchten sich vor dem Verlust der Privatsphäre und einem Übergang zum Überwachungsstaat, etwa durch die Corona-App. Davon sind wir noch weit entfernt, aber was wäre eigentlich, wenn Algorithmen tatsächlich so konzipiert sind, dass sie Entscheidungen für uns treffen würden? Wir müssten diesen Entscheidungen dann nur noch mit einem „O.K“ zustimmen. Bei der nächsten Bundeskanzlerwahl zum Beispiel müssten sich niemand mehr Gedanken machen, wem die eigene Stimme gegeben werden sollte, denn der Algorithmus weiß schon vorher, wo das Kreuzchen hin soll. Was für viel jetzt wie ein Alptraum klingt, ist für die Menschen im fiktiven „Qualityland“ längst Realität. Mehr dazu berichtet Anastasia Tschusovitin:

Manuskript

Text

„Willkommen in QualityLand!“ Der von Marc-Uwe Kling im Jahre 2017 erschienene Roman mit eben diesem Titel beschreibt eine Zukunftsvorstellung, in der das Leben der Menschen vollständig durch die fortschreitende Technik dominiert wird. Das gleichnamige Land und seine Einwohner*innen werden dabei durch Algorithmen einer Plattform stark beeinflusst. Die Nachnamen der Einwohnerinnen und Einwohner ergeben sich aus dem Beruf des gleichgeschlechtlichen Elternteils zum Zeitpunkt der Zeugung. Die Bevölkerung ist in verschiedene Level eingestuft, die sich aus dem gesellschaftlichen Ansehen, den Errungenschaften und dem finanziellen Hintergrund zusammensetzen. Emotionale Entscheidungen, wie die hinsichtlich der Partnerwahl, müssen die Einwohner*innen nicht mehr selbst fällen. Verheirateten Paaren wird von der Partnersuchmaschine „QualityPartner“ sogar ein besseres Match als der bzw. die aktuelle Partner*in vorgeschlagen. „QualityPartner“ sorgt dann praktischerweise auch gleich für die Trennung der bestehende Beziehung, sollte man sich für jemand neues entscheiden. Die Maschinen in Klings „dystopischem Utopia“ haben einen so hohen Entwicklungsgrad, dass sie sogar über ein eigenes Bewusstsein verfügen und teilweise selbst emotionale Schwächen aufweisen. So leidet zum Beispiel eine Drohne unter Flugangst oder eine Androiden-Autorin unter Versagensängsten. Auch Konsum ist ein wichtiger Faktor: Der Versandhandel „TheShop“ beispielsweise liefert Produkte an die Bewohner*innen von „Qualityland“, ohne dass diese eine Bestellung aufgegeben haben. Denn „TheShop“ erkennt bereits, was eine Person benötigt, bevor sie es selbst weiß. Innerhalb weniger Minuten kommt dann ein Päckchen per Drohne direkt nach Hause geflogen.

Mit einem solchen Päckchen beginnt auch die Geschichte von Peter Arbeitslos, einem Maschinenverschrotter. Begleitet wird er von seinem persönlichen digitalen Assistenten namens „Niemand“. Eines Tages wird Peter ein unerwünschtes Produkt von „TheShop“ zugestellt, in dem sich ein rosafarbener Delfinvibrator befindet. Im Verlauf der Geschichte versucht Peter, diesen zurückzugeben, was sich jedoch als äußerst schwierig erweist. Von hier aus entfaltet sich dann die eigentliche Geschichte.

Das Buch „Qualityland“ ist in zwei Ausgaben erhältlich, einmal in einer Version mit hellem Einband für Optimist*innen und in einer Version mit dunklem Einband für Pessimist*innen. Beide Versionen erzählen aber dieselbe Geschichte, nur die Zusatzkapitel, die immer wieder eingeschoben sind, unterscheiden sich. Bei diesen handelt es sich um fiktive Werbeeinblendungen und Nachrichtenanzeigen, die den Leserinnen und Lesern einen noch besseren Einblick in das Leben in „QualityLand“ geben. Der Schreibstil ist – typisch Kling – trocken und ironisch und erinnert oftmals an das wohl bekannteste Werk des Autors, die Känguru-Chroniken. Manche Handlungen kommen im hier vorgestellten Roman zwar relativ plötzlich und manche ziehen sich etwas in die Länge, doch im Großen und Ganzen ist die Geschichte schlüssig und bündig. Mit „QualityLand“ ist Marc-Uwe Kling ein unterhaltsamer, dystopischer und satirischer Zukunftsroman gelungen. Dabei wird genau wie in seinem vorherigen Besteller über das kommunistische Känguru der Gesellschaft ein Spiegel vorgehalten. Das Buch thematisiert neben den unbegrenzten Weiten der Digitalisierung auch den Überwachungskapitalismus und fragt zwischen den Zeilen nach dem Unterschied zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz. Der technische Fortschritt wird das Leben in naher Zukunft noch stärker dominieren, als es bereits heute der Fall ist. Trotz des humorvollen Stils, in welchem das Buch geschrieben ist, regt es die Leserinnen und Leser dazu an, über die vielen Vor- und Nachteile der Digitalisierung nachzudenken.