"Single sein verboten" in Yorgos Lanthimos Film „The Lobster"
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Steffen Hackbarth |
Datum: | |
Dauer: | 03:39 Minuten bisher gehört: 185 |
Manuskript
Eine Frau um die 50 fährt im Regen durch die Gras- und Heidelandschaften Irlands. Drei Esel weiden am Wegesrand und wirken eigenartig fremd in der Szene. Die Frau steigt mit einer Pistole bewaffnet aus.Wir beobachten sie weiter durch die Fensterscheibe vom Beifahrersitz aus. Unser Blick wird hin und wieder durch den Scheibenwischer durchbrochen. Sie stampft durch morastigen Boden auf den rechten Esel zu. Dreimal schießt sie auf ihn. Sie schien noch eine offene Rechnung mit ihm zu haben.
Die Titelsequenz verspricht Tristesse, Brutalität, Absurdität und in dieser skurrilen Mischung auch einen beißenden Sinn für Humor.
Der 2015 erschienene Film „The Lobster“ von Yorgos Lanthimos entwirft eine Welt, in der Single-Sein illegal ist. Verlassene oder Hinterbliebene haben 45 Tage lang Zeit, wieder einen Partner bzw. Partnerin zu finden. Für diese Zwecke kommen Sie in ein Internierungs-Spa, wo sie durch Misshandlungen, Seminare und Kontakt mit anderen inhaftierten Singles wieder einen Partner finden sollen. Wenn Sie dies nicht schaffen, werden Sie in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. Die absurde Geschichte in „The Lobster“ wird aus Sicht einer Guerilla-Single-Frau erzählt, gespielt von Rachel Weisz. Sie berichtet uns von David, dargestellt durch Collin Farrel, der gerade von seiner Frau verlassen wurde und mit einem weißen Kleinbus ins Single-Internierungs-Spa deportiert wird.
Die Welt, die Lanthimos hier entwirft, ist befreit von Zwischentönen. Jegliche Individualität wird verneint. Alle tragen in dem Camp dieselbe Kleidung. Schuhgröße 44 ½ gibt es hier ebenso wenig wie Bisexualität. Die Partnerwahl fußt auf gleichen, in der Regel äußerlichen oder habituellen Eigenschaften, wie die der Vorliebe für Butterkekse, Kurzsichtigkeit oder spontanes Nasenbluten.
Partnerschaft bekommt in diesem Szenario dadurch etwas furchtbar Narzisstisches, wenn jemanden gesucht werden soll, der genau so ist, wie man selbst. Sie ist damit rein auf ihre scheinbar gesellschafts-stabilisierende Funktion reduziert. Denn Singles sind in der dieser dystopischen Filmwelt unberechenbar für die Regierung. So gibt es eine Guerilla-Single-Bande, die aus dem Camp geflohen ist und fortan im Wald lebt und Angriffe auf das Spa plant. Aber auch diese Gruppe ist nicht weniger diktatorisch.
Form und Inhalt reiben sich stets in „The Lobster“: So steht das schöne Hotel mit Spa-Bereich zum Beispiel im starken Widerspruch zu den brutalen Methoden der Leitung, Menschen wieder in Paare zu sortieren. Wenn Yorgos Lanthimos und Efthimis Filippou gemeinsam an einem Film schreiben, ist Verstörung vorprogrammiert – so auch in dem 2017 erschienenen Film „The Killing of a Sacred Deer“ ebenfalls mit Colin Farrel und darüber hinaus mit Nicole Kidman. Um hier ganz einzutauchen, brauchen Zuschauende etwas Zeit und die Bereitschaft, sich auf die Handlung einzulassen, denn der Einstieg in die Handlung ist mitunter nicht ganz leicht. Die Geduld kann sich aber durchaus lohnen - aus diesen für uns oft absurd wirkenden Handlungen speist sich nämlich auch der oft eigenartige und beißende Humor von Lanthimos‘ Filmen. Je nach Perspektive sehen Sie mit „The Lobster“ dann eine Komödie, einen Liebesfilm, einen dystopischen Gesellschaftsentwurf, einen Sittenspiegel, oder auch einfach eine Mischung aus allem. Aber entscheiden Sie am besten selbst, was Sie gesehen haben!
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