Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Benita Heukamp
Datum:
Dauer: 03:35 Minuten bisher gehört: 286
Wochen oder sogar Monate bevor ein neuer Film in den Kinos anläuft, lässt sich auf Streifzügen durch das Internet immer wieder ein Trailer oder vielleicht auch das Plakat dazu entdecken. Handelt es sich dabei um eine Literaturverfilmung, so gerät gleichzeitig auch die Vorlage für den Film wieder ins Blickfeld. So auch bei der „Schachnovelle“. Nach Verzögerungen beim Kinostart konnte der Film im September endlich in den Kinos anlaufen. Ob sich vor einem Kinobesuch der neuen Verfilmung von Stefan Zweigs „Schachnovelle“ ein Blick in die literarische Vorlage lohnt, erfahren Sie jetzt von Benita Heukamp.

Manuskript

Text

Es ist das letzte Werk von Stefan Zweig: Zwischen 1938 und 1941 arbeitet er an seiner „Schachnovelle“, im Folgejahr wird sie erstmals veröffentlicht. Der Name der Novelle lässt es schon vermuten: Es geht um Schach. Aber auch ohne ein Kenner der kleinen schwarzen und weißen Figuren und des Feldes mit den 64 Quadraten zu sein, lässt sich der Handlung ohne Probleme folgen. Schach spielt dabei logischerweise eine wichtige Rolle und zieht sich als roter Faden durch alle drei Erzählstränge. Einen nicht minder wichtigen Bestandteil bildet jedoch die psychische Folter, die einer der Protagonisten durch die Nationalsozialisten erdulden musste und die ihm noch lange nachhängt. Die Rahmenhandlung spielt auf einem Passagierschiff. Im Zentrum stehen drei Figuren. Da ist zunächst der namenlose Ich-Erzähler, der in die Handlung einführt. Er leitet durch das Geschehen und wirkt doch unscheinbar, stößt aber die wichtigsten Handlungen an. Ebenfalls an Bord befindet sich Mirko Czentovic, seines Zeichens Schachweltmeister. Hier eröffnet Zweig eine erste Binnenhandlung, eine eingebettete Handlung, in der er den amtierenden Schachweltmeister genauer vorstellt. Der junge Mann von minderer Intelligenz hat selbst mit den einfachsten Denkleistungen Schwierigkeiten. Umso überraschender kommt es, als er im Kindesalter seine Begabung für das Schachspielen offenbart. Allerdings mangelt es ihm an Vorstellungskraft. Er ist nicht in der Lage, eine Schachpartie im Geiste zu spielen, immer braucht er das Brett vor Augen. Damit bildet er einen enormen Gegensatz zu einem weiteren Passagier und Protagonisten, der erst etwas später ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Anfangs bleibt dieser neue Mitspieler noch namenlos, später wird er nur als „Dr. B“ betitelt. Dr. B ist ein Meister darin, Schachpartien in seinen Gedanken zu rekonstruieren, viele Züge im Voraus zu durchdenken und sogar gegen sich selbst zu spielen. Die Hintergründe für Dr. Bs Können liegen in einem dunklen Kapitel seiner Vergangenheit begründet. In einem neuen Erzählstrang eröffnet Dr. B dem Ich-Erzähler die näheren Hintergründe. Über ein Jahr lang befand sich Dr. B in der Gefangenschaft der Nationalsozialisten. Ein Jahr, das er in Isolationshaft verbringen musste, ohne jegliche Ablenkung und Beschäftigung – bis ihm eines Tages ein Buch über Schach in die Hände fällt... Seitdem meidet Dr. B es, Schach zu spielen. Die Auswirkungen für seine geistige Gesundheit wären fatal. Dennoch lässt sich Dr. B zu einem Spiel gegen Czentovik überreden.

Zugegebenermaßen ist die Handlung der Novelle nicht gerade spannend. Es gibt ein Passagierschiff, es gibt Passagiere, ein paar von ihnen spielen Schach und einer hat ein düsteres Kapitel in seinem Leben, in dem Schach eine wesentliche Rolle spielt. Die ganze Erzählung kommt ohne großes Tamtam daher und zeigt trotzdem geistige Abgründe auf. Zweig schreibt schnörkellos und er schreibt nicht mehr, als unbedingt notwendig ist. Dennoch schreibt er eindrucksvoll und schildert eindrücklich, wie Dr. B immer noch unter der psychischen Folter durch die Nationalsozialisten leidet. Zweig gelingt es, trotz der eher trägen Handlung Spannung aufzubauen – gerade mit Blick auf die finale Schachpartie, denn die Folgen für Dr. B sind unberechenbar, auch wenn sie schon ein wenig angedeutet wurden. Wer keine Zeit für den nächsten dicken Wälzer hat, aber dennoch gute Unterhaltung sucht, ist mit der „Schachnovelle“ von Stefan Zweig gut beraten. Ohne dass viel passiert, geschieht doch eine ganze Menge auf den knapp etwas mehr als 100 Seiten. Als sehr kurzweilige Lektüre ist die „Schachnovelle“ also durchaus zu empfehlen.