Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Winona Hennrich
Datum:
Dauer: 04:30 Minuten bisher gehört: 121
Die neuesten und sensationellsten Nachrichten so schnell wie möglich zu bekommen, ist heutzutage durch Fernsehen, Internet und generell durch Social Media ganz normal geworden. Dass dabei manchmal aber auch viele ethische und moralische Grenzen überschritten werden, um an die neuesten Informationen heranzukommen, wird dabei nicht immer ganz klar. Das ist das Setting in dem sich der dramatische Thriller „Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis“ dreht. Die Zuschauer*innen erleben eine nervenaufreibenden und teilweise brutale nächtliche Suche nach den spektakulärsten Tatorten in Los Angeles. Mehr über den Film „Nightcrawler“ erfahren Sie von Winona Hennrich:

Manuskript

Text

Die Wolken verziehen sich und der Mond erhellt eine gewundene Straße. Ein lauter Knall ertönt, gefolgt von einem angsterfüllten Schrei. Eine Frau versucht panisch über die Straße zu rennen. Einfach nur weg von ihrer Villa und den schrecklichen Dingen, die dort gerade passieren. Dabei presst sie krampfhaft die Hände auf ihren Bauch. Er ist über und über mit Blut beschmiert und sie bricht schwer atmend zusammen. Unfallszenen mit vorzugsweise weißen Opfern in wohlhabenden Gegenden, die von einem/einer Täter*in aus der Unterschicht oder einer ethnischen Minderheit überfallen werden: Genau diese Szenen lassen die Zuschauer*innen des US-Morgenfernsehens wie gebannt auf ihre Bildschirme starren. Dabei können sie sich kaum von den schrecklichen Bildern abwenden. Der Film „Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis“ aus dem Jahr 2014, vom Drehbuchautor und Regisseur Dan Gilroy befasst sich mit diesen schrecklichen Szenen und einer Medienkritik am US-Frühstücksfernsehen. Das Thema des Films lässt sich auch auf den aktuellen Medienkonsum beziehen. In der heutigen Zeit ist es immer wichtiger, über alles Mögliche schnell informiert zu sein. Lieber mit dem Handy drauf halten, als zu helfen. Ethik und Moral werden in den Hintergrund gestellt, obwohl es in einer Notsituation immer am wichtigsten ist, seine Hilfe anzubieten. Erstmal zuzuschauen oder zu filmen, ist ein weit verbreitetes Phänomen, auch hier in Deutschland. Wer im Film „Nightcrawler“ hinter den sensationellen Stories steckt, die im Morgengrauen schon in den Nachrichten laufen, wird schnell klar: Der Nightcrawler – wie der Titel des Films schon vermuten lässt. Nach Einbruch der Dunkelheit fährt er durch die Stadt und lauscht dabei den Funkgesprächen der Ersthelfer. Er muss so schnell wie möglich bei den Tat- und Unfallorten sein, um die Szenen auf einer Kamera bannen zu können. Denn wer zuerst kommt, mahlt bekanntlich zuerst. Ohne Rücksicht auf Verluste, geht es darum, das beste Videomaterial zu ergattern; nicht darum, den Betroffenen oder den Einsatzkräften zu helfen. Im Anschluss verkauft der Nightcrawler sein Material an das Nachrichtenportal, das ihn am besten bezahlt. Im Zentrum des Films „Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis“ steht Lou Bloom. Er lebt in Los Angeles und hat seine ganz eigenen Vorstellungen zum American Dream. Seinem Motto zufolge, könne nur jemand in der Lotterie gewinnen, wenn er oder sie auch das Geld für einen Lottoschein hat. Nachdem er einen Online-Wirtschaftskurs belegt hat, will er endlich die Karriereleiter nach oben klettern. Bis jetzt hat er sich mit Stahldiebstählen über Wasser gehalten. Gewalt als ein Mittel zum Zweck einzusetzen, ist ihm dabei nicht fremd. Als er eines Nachts einen Unfall am Straßenrand sieht und dort anhält, begegnet er einem der vielen Nightcrawler. Ohne Scheu vor der Polizei und den Hilfskräften nimmt dieser die brutalen Szenen mit seiner Kamera auf und Lou beschließt daraufhin, ebenfalls Nightcrawler zu werden. Mit einer kleinen Kamera ausgestattet beginnt er, seine ersten Videos zu drehen und es wird schnell klar, dass für ihn nur der eigene Erfolg im Mittelpunkt steht. Mit einer skrupellosen extremen Nahaufnahme eines Schussopfers erzielt er seinen ersten Erfolg und stürzt sich immer weiter in die „Unterwelten“ von L.A. Immer weiter auf der Suche nach dem spektakulärsten, schockierendsten und schonungslosesten Bildmaterial greift Lou auch zu zunehmend zwielichtigeren Methoden. So bekommt er genau das, was er will, um seinen verzweifelten Drang nach Anerkennung und Erfolg zu stillen.

Mit der Figur Lou, die von Jake Gyllenhaal verkörpert wird, hat der Regisseur Dan Gilroy einen ultimativen und befremdlichen Antiheld geschaffen. Denn mit Lou möchte der Zuschauende sich nicht identifizieren. Eine Begegnung mit ihm bedeutet den schlimmsten Tag seines eigenen Lebens. Jake Gyllenhall setzt die gruselige und fast soziopathisch wirkende Grundstimmung des Charakters perfekt um. Vor allem in seinen Augen spiegelt sich die Machtgier Lous auf erschreckende Art und Weise wider. Durch die schnelle Kameraführung und die eng miteinander verknüpften Handlungsstränge entsteht das permanente Gefühl des Unbehagens und es bleibt die Frage, wie weit Lou noch gehen wird. Das Gefühl, dass für ihn Sterbende und Tote nicht mehr sind als Nachrichten, Quote, eine simple Ware und somit bares Geld, hinterlässt einen bitteren Geschmack. Trotz oder gerade wegen dieser schweren Botschaft lohnt es sich, den Thriller „Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis“ anzusehen.