„Netboy – Der Film“ Premiere für das Videoprojekt am Deutschen Theater
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Tina Fibiger |
Datum: | |
Dauer: | 06:35 Minuten bisher gehört: 144 |
Manuskript
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In Großaufnahme wird das Max-Planck-Gymnasium eingeblendet. Dort läuft eigentlich alles gut für Marie, die gerade zur Klassensprecherin gewählt worden ist. Der schüchterne Olaf, der sie jetzt noch ein bisschen mehr anhimmelt, ist zwar nicht ihr Typ, aber ihre Freundin Sarah schwärmt für ihn. Der kann Marie jetzt noch viel selbstbewusster zur Seite stehen, wenn es in der Schule und besonders mit der Chemielehrerin wieder Stress gibt. Zu Hause sind die Nachrichten am Smartphone weniger erfreulich. Der Vater will mit seiner Freundin nach Berlin ziehen und sagt auch das geplante Treffen am Wochenende ab. Dann erscheint auf Maries Handy-Display plötzlich eine neue Nachricht: Doch wer ist dieser „Netboy“, der spontan die miese Stimmung vertreibt und locker ins Erzählen kommt über sein Schweizer Internat - und Marie wirklich zu verstehen scheint?
O-Ton 1, Einspieler, „Netboy – Der Film“, 32 Sekunden
„Meine Mutter nervt, die versteht überhaupt nix. Soll vorkommen. Meckert, dass ich dauernd am Chatten bin. Will, dass ich raus gehe. Kotz. Kafka sagt, es ist nicht notwendig, dass du aus dem Haus gehst. Bleib‘ bei deinem Tisch und horche... horche nicht ein Mal, warte, warte nicht ein Mal, sei völlig still und allein. Anbieten wird sich dir die Welt zum Entlarven.“
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Vor sechs Jahren hatte das Stück „Netboy“ in der Inszenierung von Johannes Rieder Premiere auf der DT-2-Bühne. Auf einem schlichten Podest mit wenigen Requisiten kursierten all die Gefühle, wie sie verunsichern, Neid und Eifersucht hervorrufen können und hinterhältige Intrigen. DT-Intendant Erich Sidler erinnert sich an die ersten Vorstellungen, die nicht besonders nachgefragt waren und, dass er mit seinem Team weiterhin auf die Tonlage des Stückes vertraute, welches er als nachhaltiges Dokument beschreibt, um ein Zeitproblem zu befragen. Das bestätigte sich laut Siedler auch in der Resonanz der Schulen in den nachfolgenden Spielzeiten:
O -Ton 2, Erich Sidler, 22 Sekunden
„Wie werden junge Menschen, Jugendliche, Kinder auch sensibilisiert für den persönlichen Umgang mit Daten im Netz? Da ist dieses Stück sehr geeignet und kann zeigen, was Theater in dem Sinne kann: Nämlich eine emotionale Geschichte zu zeigen, mit der sich die Zuschauerinnen und Zuschauer auch emotional identifizieren.“
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Während der Sommermonate entstanden die Filmaufnahmen, bei denen manche Szenen in der unmittelbaren Umgebung des Theaters auf dem Parkdeck oder am Wall gedreht wurden und andere auf den Schillerwiesen, im Stadtbus oder in einer dunklen Unterführung. Dann gibt es Traumsequenzen, in denen Marie als Superheldin von maskenhaften Gestalten bedroht wird. Die Kamera verweilt vor allem in den Gesichtern von Anna Paula Muth, Marina Lara Poltmann und Daniel Mühe, wie sie sich in die Gefühlswelt von Marie, Sarah und Olaf vertiefen und auch in das, was die Drei in den gemeinsamen Begegnungen voreinander verbergen. Sidler betont die Theatermittel, die „Netboy – Der Film“ entscheidend grundieren:
O-Ton 3, Erich Sidler, 10 Sekunden
„Wir haben damit ein Dokument gemacht, was sichtbar Theater ist und trotzdem sich als Video vermittelt: Das emotionale Mitnehmen und das Veranschaulichen des Problems.“
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„Netboy“ punktet gern mit Kafka-Zitaten und existenziellen Fragen. Er scheint auch genau zu wissen, wie er Marie herausfordert, zum Beispiel damit, dass gerade jetzt zumindest eine subversive Aktion gegen die Chemielehrerin fällig ist. Dabei wird Marie von ihm beobachtet und später erpresst. Die Chatroom-Begegnung hat also nicht nur im Netz ein Nachspiel, wo das Foto von der Aktion kursiert und ein veritabler Shitstorm einsetzt. Der kommt dann auch in der Schule an, wo Marie neben den gehässigen Stimmen nun auch noch der Schulverweis droht:
O-Ton 4, Einspieler „Netboy –Der Film“, 27 Sekunden
„Netboy. Vielleicht ist es Tim aus der 9b. Der hat bei den Klassensprechertreffen zu Allem, was ich gesagt habe, immer blöde Sprüche gemacht. Vielleicht wollte der, dass ich nicht mehr Klassensprecherin bin oder es ist jemand aus meiner Klasse, der dringend Geld braucht? Oder Olaf, weil ich nicht mit ihm…Wer will sich so an mir rächen. Was? Ich habe heute Morgen im Mülleimer nach geguckt. Das Geld war nicht mehr da. Marie, wovon redest du?Jetzt gib’s doch zu, du hast doch Geldprobleme.“
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Zur Preview mit „Netboy –Der Film“ hatten Erich Sidler und sein Team auch drei Lehrerinnen von Göttinger Gymnasien und Gesamtschulen in einer Zoom-Konferenz dazu geschaltet. Anklang findet das Videoprojekt bei ihnen natürlich thematisch als Diskussionsstoff für mehrere Unterrichtsfächer und verschiedene Altersgruppen, aber auch in seiner Signalwirkung für Schüler*innen, die das Theater mit diesem Format besonders anspricht. Von einer Feuerprobe spricht Sidler nach der filmischen Umsetzung des Theaterstückes, um nicht nur unter Corona-Bedingungen den Dialog mit den Schulen zu vertiefen, sondern vor allem auch die persönlichen Kontakte:
O-Ton 5, Erich Sidler, 23 Sekunden
„Das ist für uns eigentlich das Wesentliche und darauf bauen wir. Wir können uns gut vorstellen, dass wir in Zukunft einige Kinder- und Jugendtheaterproduktionen zweigleisig fahren: Auf der einen Seite die Bühnenfassung machen und auf der anderen Seite eine Videofassung erstellen, um damit noch einfacher und noch schneller direkt in die Klassen und die Schulzimmer vermitteln zu können in Göttingen und im Landkreis.“
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Starke, vielstimmige Bilder haben Johanna Schwung und René Hanauer bei ihrem Filmregie-Debüt aus einem starken Stück mit nachhaltiger Wirkung destilliert. „Was sollen wir nicht sehen?“ fragt sich Marie, nachdem sie im Bus die Chemielehrerin erkannt hat, die direkt vor ihr sitzt. Sie möchte ihr am liebsten die Perücke herunter reißen und nachschauen, was sich darunter verbirgt. Die Szene steht auch am Anfang eines Trailers auf der Homepage des Deutschen Theaters. Schon in den kurzen Sequenzen deutet sich an, dass Marie auch in der Begegnung mit „Netboy“ nach Antworten sucht. Dabei stellt sich auch die Frage, “was wollen wir nicht sehen und warum“, der die Filmbilder nachspüren.
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