Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Christoph Lohnherr
Datum:
Dauer: 03:43 Minuten bisher gehört: 166
Das aufmerksame Wertschätzen kleiner Dinge gilt oft als wichtiger Schlüssel zum Glücklichsein. Eine gute Anleitung hierfür bot vor knapp zwanzig Jahren die französische Komödie „Die fabelhafte Welt der Amélie“, die zudem ihre Hauptdarstellerin zum Weltstar machte. Christoph Lohnherr hat sich den Film für uns angesehen.

Manuskript

Text

Amélie Poulain wächst ohne viel Kontakt zu anderen Kindern im idyllischen Pariser Stadtteil Montmartre auf. Schon als Kind macht sie aus der Not ihrer Einsamkeit eine Tugend, bastelt wunderbare Dinge mit kindlicher Kreativität und Neugier. Dabei hat sie stets ein Auge für all die kleinen und alltäglichen Wunder, die Erwachsene meist nicht mehr wahrnehmen. Doch Amélie verliert diese besondere Gabe auch als junge Frau nicht...

 

Genau damit hat der französische Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ im Jahr 2001 weltweit Kinobesucher verzaubert. So wie Amélies Blick auf die Welt sprudelt auch der Film selbst über vor Kreativität und Lust am Entdecken. Natürlich spielt auch Hauptdarstellerin Audrey Tautou eine entscheidende Rolle beim Erfolg der fantasievollen und zugleich melancholischen Komödie. Ihr zunächst bewusst schüchternes und in der Folge immer selbstbewussteres Spiel sowie ihre braunen ausdrucksstarken Augen machten die junge Schauspielerin schnell zum Star. Auch das altmodisch anmutende Pariser Stadtviertel und das Straßencafé, in dem Amélie arbeitet, tragen zur märchenhaften Atmosphäre bei und veranlassen bis heute so manchen Filmliebhaber dazu, diese Orte im realen Leben aufzusuchen.

 

Von hier aus macht es sich Amélie nach dem Fund eines Holzkästchens voller Kindheitsschätze, das sie zufällig hinter einer Fliese in ihrer Wohnung entdeckt, zur Aufgabe, den ehemaligen Besitzer ausfindig zu machen. Nach ein paar fehlgeschlagenen Versuchen gelingt ihr dies und sie erlebt, wie dieser unverhoffte Fund den mittlerweile älteren Besitzer berührt und sogar dazu veranlasst, wieder Kontakt zur eigenen Familie aufzunehmen. Und so verlässt sie mehr und mehr ihre gewohnte Rolle der präzisen aber unbeteiligten Beobachterin und mischt sich aktiver ein. Sie hilft ihren Arbeitskollegen, Händlern in der Nachbarschaft, Nachbarn oder zufällig ausgewählten Passanten. Und sie lässt diese Menschen teilhaben an ihrer inspirierenden Art, auf die Welt zu blicken. Geschickt verkuppelt sie die beiden anstrengendsten Stammgäste ihres Cafés miteinander oder schickt den Gartenzwerg ihres verwitweten Vaters auf Weltreise. Nur Ungerechtigkeit bestraft sie, so wie etwa einen bösartigen Gemüsehändler, der seinen Angestellten wiederholt vor Kunden demütigt… Die Figuren sind allesamt zwar mehr oder weniger überzeichnet, trotzdem aber sehnen sie sich alle letztlich nach Liebe und Anerkennung.

 

In Momenten der Einsamkeit, die sie zwischendurch überkommen, liegt Amélie zuhause zwischen Kekse und Kissen gekuschelt vor dem Fernseher und stellt sich vom eigenen Selbstmitleid gerührt vor, wie Millionen Menschen ihrem Trauerzug folgen und sie als „Patin der Missachteten“ auch nach ihrem Tod verehren. Diese Verletzbarkeit und kleinen Eitelkeiten machen sie menschlich.

Ein älterer Maler in der Nachbarschaft hilft ihr schließlich, mutiger zu werden und sich nach und nach zu öffnen – vor allem beim Erkennen eines eigenen Seelenverwandten. Und so findet Amélie auch selbst noch die Liebe.

 

Dank großartiger Dialoge und vielen tricktechnischen Einfällen wird der über zweistündige Film niemals langweilig. Seine Märchenhaftigkeit wird dabei schon in den ersten Minuten deutlich durch die kuriosen Schilderungen eines allwissenden Erzählers. Die Bilder sind dezent in Grün- und Gelbfilter getaucht, die meisten Schauspieler gecastet wegen ihrer ungewöhnlichen und ausdrucksstarken Gesichter. Dazu begleitet uns Streicher- und Straßenmusik von Yann Tiersen, der mit dem Soundtrack weltbekannt wurde. Regisseur Jean-Pierre Jeunet kennt sich aus mit Geschichten von Außenseitern - schon in seinen vorherigen Filme wie „Die Stadt der verlorenen Kinder“ oder „Delicatessen“ erschuf er kuriose Welten in ähnlich stilisierter Bildsprache. Bei Amélie allerdings verzichtet er auf düstere und bedrohliche Töne und hat ein zeitloses, im Kern tief romantisch-melancholisches Märchen geschaffen, dem sein Platz in der Filmgeschichte längst sicher ist.