Die Göttinger Theater in Corona-Zeiten
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Roman Kupisch |
Datum: | |
Dauer: | 06:35 Minuten bisher gehört: 216 |
Manuskript
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Egal ob Einzelhandel oder Kulturbetrieb, das Konzept gegen die Krise scheint überall das Gleiche, es lautet: Kommt der Kunde nicht zu uns, kommen wir halt zu ihm. Doch auch hierbei ist auf Abstand zu achten. Das naheliegende Mittel der Wahl ist daher der digitale Hausbesuch. Für das Theater im OP (ThOP) gilt das in besonderer Weise. Denn als Spielstätte der Universität Göttingen ist es gleich mehrfach von den allgemeinen Ausgangsbeschränkungen betroffen. Durch die Umstellung des Sommersemesters auf digitale Lehre bleiben nicht nur die Zuschauer weg – auch das theaterpraktische Kursangebot muss ins Internet verlegt werden. Die Leiterin des ThOP Barbara Korte steht vor der Frage: Wie lässt sich ein ganzes Theater digital betreiben?
O-Ton 1, Barbara Korte 28 Sekunden
„Ein Theater auf digitalen Betrieb umzustellen ist natürlich ein sehr schwierige und herausfordernde Aufgabe. Wir haben es aber tatsächlich geschafft, einige Proben per Videokonferenz zu machen. Man kann Fortschritte machen gerade in Szenen, die man vorher schon einmal live in Präsenz geprobt hatte. Unser ganzes Lehrangebot wird auf digital umgestellt. Das gilt für manche Seminare einfach und für andere muss man ein bisschen kreativer werden.“
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Das Stück, für das Barbara Korte derzeit probt, scheint wie gemacht für die derzeitige Situation. Es geht um einen jungen Mann, der Youtube als Fenster zur Welt für sich entdeckt. Andere Veranstaltungen des ThOP müssen jedoch komplett umgeplant werden. Der Kurs etwa zum Best-Off Theaterfestival in Braunschweig entfällt. Dafür schauen sich die Teilnehmer jetzt an, wie Theater mit der Krise umgehen. Auskunft darüber kann Erich Siedler geben, Intendant des Deutschen Theaters Göttingen.
O-Ton 2, Erich Siedler, 30 Sekunden
„Also in erster Linie haben wir natürlich das gemacht, was die anderen auch machen, wir haben sehr viel Streaming-Angebote jetzt auf unserer Website platziert. Aber natürlich merkt man sehr schnell: Theater ist eine analoge Kunst und es hat ganz stark mit zwischenmenschlichem Kontakt zu tun. Und ich glaube, dass in diesen Zeiten nicht nur uns jetzt auffällt hier im Haus, sondern auch unseren Zuschauerinnen und Zuschauern, dass es eben ein großes Bedürfnis gibt nach dieser unmittelbaren menschlichen Erfahrung des Gegenübers.“
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Nico Dietrich, Intendant des Jungen Theaters Göttingen, ist darum vorsichtig, was Streaming angeht. Er versucht den direkten Kontakt zum Publikum so gut es geht aufrechtzuerhalten. Gefragt sind dafür ungewöhnliche Konzepte, die beides vereinbaren: Das Live-Erlebnis und den gebührenden Abstand. Das Junge Theater hat einige davon entwickelt, wie Nico Dietrich verrät.
O-Ton 3, Nico Dietrich, 37 Sekunden
„Also eins ist, unsere Fensterkonzerte finden jetzt regelmäßig statt. Also da gehen wir mit Auszügen unserer Musikshow an die Fenster. Zum Beispiel des Universitäts-Klinikums Göttingen, oder an den GDA Wohnstift, das sind Seniorenheime, die da alle unter Quarantäne stehen. Das machen wir für die Bewohnerinnen des Altenheims, für die Mitarbeiterinnen des Altenheims, dass die mal vielleicht eine halbe Stunden aussteigen können aus dem Alltag. Und ganz neu, wir machen einen Konzertauftritt im Autokino. Wir zeigen unsere komplette Musikshow am Jahnstadion aufm Parkplatz, dass man auch in Zeiten von Corona Kultur im Freien genießen kann.“
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Auch wenn die Zustimmungen zu digitalen Ausweichmöglichkeiten im Theater unterschiedlich ausfallen: Für Korte, Siedler und Dietrich ist klar: Theater ist nicht beliebig ersetzbar. Das ist ein Besuch in der Kneipe oder im Restaurant natürlich auch nicht. Doch sind Theater mehr und anderes als reine Orte der Geselligkeit. Es geht nicht nur um das Beieinandersein, wie Intendant Erich Siedler erläutert.
O-Ton 4, Erich Siedler, 33 Sekunden
„Spezifisch im Theater dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, dass wir mehr oder minder das einzige Forum sind, an dem sich Menschen treffen zu einem Zeitpunkt, um über unsere Verhältnisse, unsere Lebensverhältnisse, über die Frage nachzudenken, wie wir leben wollen. Wenn das wegfällt, ist es vielleicht im ersten Moment nicht sofort existenziell, aber im zweiten Moment werden diese Resonanzräume, die die Demokratie braucht, etwas zum Verlust von Demokratie beitragen.“
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In Notzeiten, wenn Gelder knapp sind und Mittel umverteilt werden müssen, stellt sich schnell die Frage: Wer bekommt wie viel und wer oder was ist entbehrlich. Kürzlich stellte Kulturstaatsministerin Monika Grütters in einem Interview fest: Das Bedürfnis nach künstlerischer Auseinandersetzung ist genauso elementar wie das Bedürfnis nach Nahrung, Unterkunft und Heizung. Dem kann im Prinzip auch der Intendant des Jungen Theaters Nico Dietrich zustimmen. Er wünscht sich aber, dass den Worten auch Taten folgen.
O-Ton 5, Nico Dietrich, 28 Sekunden
„Ich bin da richtig sauer zum Teil, dass simuliert wird, ja wir sind in der Coronakrise alle gleich. Es ist eben nicht so. Unsere freischaffenden Kolleginnen und Kollegen – und auch ich war ja mal freischaffend lange tätig - werden einfach gerade eiskalt zurückgelassen. Das betrifft vor allem die Soloselbständigen. Das betrifft vor allem viele kommerzielle und halbkommerzielle Spielstätten und da finde ich nicht, dass dem Taten folgen, was da verbalisiert wird.“
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Für Barbara Korte vom ThOP stellt sich die Frage so nicht. Sie und ihre Hilfskräfte sind die einzigen am ThOP, die für ihre Arbeit bezahlt werden. Und das nicht etwa für die schöne Kunst, sondern für die Aufrechterhaltung des Lehrangebots. Das Junge und das Deutsche Theater bekommen derzeit Kurzarbeitergeld. Das bedeutet: Die Gehälter werden zu 60 Prozent von der Bundesagentur für Arbeit weitergezahlt. Das gilt jedoch bloß für die Gehälter der Angestellten. An den meisten Theatern werden viele künstlerische Mitarbeiter aber nur projektweise engagiert. Ohne Aufträge sind diese sogenannten Soloselbständigen zunächst auf ihre Ersparnisse angewiesen. Und die sind im Kulturbereich nur in den allerwenigsten Fällen üppig. Deutsches und Junges Theater entwickeln daher Konzepte, um ihren freien Mitarbeitern finanziell zu helfen. Das Deutsche Theater versucht etwa ausgefallene Engagements auf die Zeit nach der Krise zu verschieben. Das Junge Theater hingegen hat eine Benefizgala geplant. Deren Einnahmen sollen komplett den Soloselbständigen zu Gute kommen. Sieht man von der prekären Situation der Soloselbständigen ab, kommen die Theater derzeit finanziell noch über die Runden, wie Nico Dietrich angibt, auch wenn sein Haus als gemeinnütziges Privattheater 40 Prozent seines Haushaltes aus den Eintrittsgeldern erwirtschaften muss – die nun aber, vorläufig, komplett wegfallen.
O-Ton 6, Nico Dietrich, 26 Sekunden
„Wenn man jetzt die Summe aus all dem zieht, dann kommen wir mit Zuschüssen der Stadt, Kurzarbeitergeld – Zuschüsse vom Bund – und den selbst noch zusätzlich draufzahlenden, also wieder abgezogen, Lohnnebenkosten, kommen wir da ungefähr bei plus minus bei Null raus. Also man kann sagen, wir sind quasi eingeigelt und überwintern jetzt, obwohl es jetzt vielleicht im Sommer das falsche Bild ist, aber wir kommen klar und das war‘s dann auch.“
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