Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Ben Mendelson
Datum:
Dauer: 05:50 Minuten bisher gehört: 187
Viele Bereiche in Wirtschaft und Gesellschaft gehen derzeit auf dem Zahnfleisch. Auch in der Kulturbranche wurden viele Organisationen und Unternehmen hart durch die Corona-Krise getroffen. Da kann es vielleicht ein bisschen helfen, wenn man Fördergelder erhält. Darüber dürfen sich jetzt zwei Organisationen in Göttingen und Umgebung freuen, die dieses Jahr den Niedersächsischen Integrationspreis erhalten: die Theaterprojekte „teatro regio“ und das „boat people project“. Hören Sie dazu einen Bericht von Ben Mendelson.

Manuskript

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Gleich zwei Organisationen aus Südniedersachsen erhalten in diesem Jahr den Niedersächsischen Integrationspreis. Dieser wird diesmal unter dem Motto „Integration durch Musik, Kunst und Kultur“ vergeben. Zu den vier Preisträgern gehört auch das boat people project aus Göttingen, das bereits seit 2009 besteht. Einen Sonderpreis erhält das „teatro regio“ aus Moringen bei Northeim. Das Moringer Bürgertheater hat sich 2016 gegründet und mehrere Stücke auf die Bühne gebracht. Die Schauspielenden, von denen etwa ein Drittel Geflüchtete sind, sind Laiendarsteller. Liane Henne ist seit Anfang an dabei und beschreibt, was diese Auszeichnung für das „teatro regio“ bedeutet.

 

O-Ton 1, Liane Henne, 39 Sekunden

"Wir sind natürlich alle sehr, sehr stolz darauf. Wir haben uns alle viel eingebracht. Wir haben viel Spaß und Freude, aber auch Arbeit gehabt, ganz besonders das Organisationsteam – mit allem was dahinter steckt an Fördergeldern zu organisieren, an Plakaten zu machen, an Veranstaltungen zu organisieren. Wir haben auch das Gefühl gehabt, dass wirklich das gelungene Integration ist bei uns in Moringen. Und dafür mit diesem Preis bedacht zu werden, das hat uns wirklich motiviert, dass wir alles richtig gemacht haben, toll gemacht haben und dass wir das unheimlich gerne auch die nächsten Jahre weitermachen wollen."

 

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Das Weitermachen ist genau das Stichwort. Die Premiere des Stücks „Der Diener zweier Herren“ war eigentlich für März 2020 geplant. Jetzt hofft das Ensemble, dass die Aufführungen ein Jahr später, im Frühling 2021 stattfinden können. Ob das klappt, ist freilich ungewiss. Zur Zeit gibt es beim „teatro regio“ keine Proben, man hat sich nur ein Mal mit Abstand draußen getroffen, nachdem das Projekt mit dem Integrationspreis ausgezeichnet wurde. Es gibt zwar Videoaufnahmen vom Stück, das sei aber nicht dasselbe wie drei Meter vor dem Publikum aufzutreten. Auch beim Göttinger „boat people project“ sind die Möglichkeiten gerade sehr eingeschränkt. Aufgrund der Corona-Pandemie wurden einige Projekte ausgebremst, erzählt die Autorin, Regisseurin und Dramaturgin Luise Rist. Sie hat das „boat people project“ vor elf Jahren mitgegründet. Bei ihrer aktuellen Produktion gab es einen Knick durch die Corona-Pandemie.

 

O-Ton 2, Luise Rist, 36 Sekunden

"Da haben wir versucht, das Stück auf Zoom weiter zu proben und wir haben die Premiere quasi Woche für Woche immer verschoben. Das war ein etwas schmerzhafter Prozess. Und wir haben auch eine Videopräsentation gemacht. Das Stück ist entstanden in Kooperation mit Roma Center. Roma Center hat auch ein sehr schönes Video gemacht, was auf deren Homepage zu sehen ist. Und das ist zwar schön für die Gruppe, aber für uns ist natürlich das Live-Erlebnis etwas ganz anderes. Und die Gruppe hofft immer noch, dass wir das Stück irgendwann aufführen können, es heißt „Yag Bari“. Das bedeutet in der Sprache der Roma so viel wie: das Feuer, das am Leben erhalten wird."

 

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Am Leben erhalten wollen die Theaterschaffenden in Göttingen und Moringen ihre Projekte natürlich so gut es geht. Zumindest eine kleine Unterstützung könnten dabei die Preisgelder in Höhe von 6.000 Euro darstellen, die bald vom Land Niedersachsen überwiesen werden. Außerdem ist es ein Zeichen der Wertschätzung ihrer Arbeit. Wie Begegnungen erleichtert werden können, zeigt eine Aufwärmübung beim „teatro regio“, bei der 14- bis 70-Jährige mitspielen. Dabei geht es um Verständigung ohne existierende Wörter, erklärt Liane Henne aus dem Ensemble. Die Schauspielenden verwenden nur die sogenannte Gromolo-Sprache.

 

O-Ton 3, Liane Henne, 36 Sekunden
"Das ist eine erfundene Sprache. Jeder kann so sprechen wie er will, es darf nur keine richtige Sprache sein. Das heißt, wir spielen mit der Gromolo-Sprache und sind dann sozusagen alle auf demselben Niveau, denn wir sprechen alle sozusagen eine andere Sprache miteinander. Und man muss dann aus Mimik und Gestik erkennen, was der Andere meint und einem sagen will. Das macht unheimlich viel Spaß, weil das Niveau dann bei allen, gerade den Mitwirkenden, die noch nicht so gut Deutsch können und sonst weniger verstehen: Die sind dann auf der gleichen Augenhöhe wie wir alle."

 

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Begegnungen auf Augenhöhe sind der Schlüssel zu erfolgreichen Integrationsprojekten, meint Henne. Dafür darf nicht von oben herab eine Richtung vorgegeben werden. Und man muss sich als anleitende Person auch bewusst sein, dass nicht nur die Ensemble-Mitglieder etwas aus dem Austausch lernen können. Luise Rist vom „boat people project“ erzählt, dass sich einige Schauspielende bei einem Stück beschwert hätten, dass die Kostüme eher schlicht und andeutend gehalten waren. Daraufhin durften sie zeigen, wie sie es gerne machen würden. Als sie sich dann extravagante Gewänder überwarfen, habe sie das erst mal nicht so toll gefunden, erzählt Luise Rist. Das habe sich aber schnell geändert, weil sie sich dachte:

 

O-Ton 4, Luise Rist, 26 Sekunden

"Ja mein Gott, das ist doch lächerlich, warum hängen wir jetzt denn daran, dass wir sagen: Nee, wir wollen jetzt nicht so eine Überkostümierung. Man hat dann so seine Sehgewohnheit, dass man das irgendwie ein bisschen spießig findet. Aber wenn man weiß, dass in Kurdistan oft im Straßentheater mit solchen Kostümierungen sehr markant gearbeitet wird und dass sie da eine ganz extreme politische Botschaft haben, dann auf ein Mal empfindet man natürlich auch die eigenen Sachen als begrenzt. Und so kann man sich dann sehr gut darüber austauschen.

 

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Austausch und gemeinsame Arbeit, für diese Aspekte wurden das „boat people project“ aus Göttingen und das Moringer „teatro regio“ in diesem Jahr ausgezeichnet. Die weiteren Preisträger kommen aus Hannover, Osnabrück und Osterode. Zumindest für die Projekte in Südniedersachsen gilt, dass ihre Arbeit jetzt erst mal auf anderen Wegen weitergehen muss. Der Integrationspreis 2020 könnte aber auch in den nächsten Jahren als Aushängeschild dafür stehen, dass dort gute Arbeit geleistet wird – möglichst bald dann auch wieder auf Bühnen, vor Publikum.