Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Amelie Retzlaff
Datum:
Dauer: 04:33 Minuten bisher gehört: 151
30 bis 40 Mails pro Tag, nebenbei klingelt noch das Telefon und auch die Kollegen wollen noch etwas besprechen. Dieses Gefühl kennen viele, die von der fortschreitenden Digitalisierung bei der Arbeit betroffen sind. Bringen die vielen Möglichkeiten wirklich Entlastung oder sind sie der eigentliche Ursprung der Stressbelastungen, über die viele Menschen klagen? Am Montagabend fand eine Diskussionsveranstaltung in der Alten Mensa in Göttingen statt, die sich diesen und ähnlichen Fragen widmete. Amelie Retzlaff mit den Einzelheiten.
Dieser Beitrag wird Ihnen präsentiert von: Thomas Hoffmann Immobilien Göttingen

Manuskript

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In der Veranstaltungsreihe „dabei. digital. nachhaltig. sozial“ fand am Montagabend die vierte Veranstaltung mit dem Titel „Brennen für den Job oder Burn Out?“ statt. Organisiert wurde sie vom „Deutschen Gewerkschaftsbund“ (DGB) Niedersachsen, „Arbeit und Leben Südniedersachen“ und der „Kooperationsstelle Hochschule und Gewerkschaften Universität Göttingen“. Es wurde darüber diskutiert, welchen Nutzen Arbeitnehmer aus der Digitalisierung ziehen können. Aber es wurde auch über die damit einhergehende Verantwortung für Führungskräfte und Arbeitende gesprochen. Vielen Menschen gibt die digitale Arbeit das Gefühl, dass sie noch mehr Aufgaben innerhalb ihrer Arbeitszeit erledigen müssen. Das sieht Thomas Hardwig von der Kooperationsstelle zwischen Hochschulen und Gewerkschaften nicht als zwangsläufig an.

 

O Ton 1, Thomas Hardwig, 38 Sekunden

Ich glaube nicht, dass man so eindeutig sagen kann, dass Digitalisierung zur Arbeitsverdichtung führt, sondern mal ist das der Fall und mal hilft Technologie auch Arbeit sozusagen besser bewältigen zu können. Und das hängt immer davon ab, wie man das gestaltet und wenn ich zum Beispiel diese kollaborativen Anwendungen sehe, die die Arbeit an einem Ort zu verschiedenen Zeiten ermöglichen können, in dem man zum Beispiel in ein Dokument gemeinsam hineinarbeitet ohne das man über Versionen sich streiten muss und sicherstellen muss, hab ich jetzt die richtige Version? Dann ist das natürlich auch eine Entlastung und eine Hilfe für die Menschen, die arbeiten.“

 

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Alle Anwesenden waren sich einig, dass die Vorteile solcher kollaborativen Anwendungen nur genossen werden können, wenn alle Mitarbeitenden eine gute Schulung dieser Mittel bekommen. Es muss klar sein über welchen Kanal die Kommunikation ablaufen soll und wann es noch Gespräche „Auge in Auge“ braucht. Durch das gemeinsame Arbeiten an Projekten kann es sein, dass das Gefühl der Wertschätzung für die Arbeit sinkt. Professorin für Sozialpsychologie Margarete Boos von der Uni Göttingen sieht Anerkennung als wichtigen Motivationsfaktor an, der auch durch die digitale Konversation nicht vernachlässigt werden darf.

 

O-Ton 2, Magarete Boos, 36 Sekunden

Das Andere: Ich weiß, wie mein Beitrag ist, dass der identifizierbar ist und das der von Anderen auch gesehen wird. Und das kann schon sein, dass da sozusagen eine Verantwortungsdiffusion oder ein Motivationsverlust entsteht, dass diese Zurechenbarkeit und Sichtbarkeit geringer wird. Es sei denn, es werden Gegenmaßnahmen ergriffen, sodass eben klar ist, wer hat was beigetragen und das es auch sichtbar gemacht wird. Aber das muss man vielleicht ein bisschen expliziter machen, als wenn das in einem räumlich zusammenarbeitenden Team der Fall ist.“

 

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Boos forscht besonders über den Einfluss des Verhaltens von Führungskräften auf die Arbeit. Sie stehen in der Verantwortung, ihre Mitarbeiter wertzuschätzen. Durch die vereinfachte Kommunikation werden aber auch immer mehr flexible Arbeitsmodelle, wie „Home-Office“ oder Gleitzeit eingeführt. Dabei besteht die Gefahr, dass die Einzelnen zu viel arbeiten und durch das Gefühl des „Immer-Erreichbar-Seins“ unter Druck stehen. Es müssen also durch die Führungskräfte Regeln, wie nicht am Wochenende zu arbeiten, vorgelebt werden, die sich dann auf ihre Angestellten übertragen. Ein weiteres flexibles Modell wurde in der letzten Tarifrunde durch die IG Metall für Schichtarbeiter oder Menschen mit Kindern durchgesetzt, Frederic Speidel erklärt:

 

O-Ton 3, Frederic Speidel, 32 Sekunden

Zum anderen haben die Menschen die Möglichkeit, Geld gegen freie Zeit einzutauschen. Das Tarifliche Zusatzgeld von 27,5% eines Einkommens in der Metall- und Elektroindustrie kann umgewandelt werden in freie Tage, nämlich acht Tage pro Jahr. Und die Erfahrung zeigt uns, dass die Menschen genau dieses wollen: freie Tage, Selbstgestaltung. Und es nicht nur um mehr Geld, mehr Materielles geht, sondern ganz andere Dinge da noch eine Rolle spielen!

 

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Indem Firmen ihren Angestellten mehr Mitbestimmungsrechte geben, übertragen sie ihnen auch viel Verantwortung. Die Menschen müssen selbst auf ihr Stresslevel achten, da sie durch die digitalen Möglichkeiten immer arbeiten könnten. Das bringt weder ihnen noch den Firmen etwas, da Überlastung schnell zu Krankheiten führen kann. Arbeitgeber müssen also Grundsätze finden, um ihren Angestellten kein Gefühl von Druck zu vermitteln und ihnen aber trotzdem noch die Freiräume einzuräumen, die sie fordern.